Zum Inhalt springen

Antisemitismus in der Schweiz «Ich habe als Jude antisemitische Erfahrungen gemacht»

Der 19-jährige David besucht das Gymnasium in Basel und schrieb seine Maturaarbeit über Antisemitismus in der Stadt. Im Gespräch erzählt der Maturand, wie er das Thema als junger Jude selbst erlebt.

SRF: David, du möchtest nicht mit vollem Namen im Interview erwähnt werden. Weshalb?

David: Ich habe als Jude schon antisemitische Erfahrungen gemacht. Mit zehn Jahren hat mir zum Beispiel eine Gruppe von Jugendlichen im Vorbeilaufen gesagt, dass sie mich zusammenschlagen würden, wenn ich nicht so jung wäre. Deshalb habe ich Angst, dass mich plötzlich jemand abpassen könnte, falls man zurückverfolgen kann, wer ich bin.

Wie viele antisemitische Vorfälle gibt es in der Schweiz?

Box aufklappen Box zuklappen

Eine offizielle Statistik zu antisemitischen Vorfällen in der Schweiz existiert nicht. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus geben aber jährlich einen Bericht dazu heraus. Im Jahr 2017 kam es demnach zu 39 Vorfälle – wobei Angriffe im Netz nicht erfasst werden.

Bist du im Alltag denn selbst oft mit Antisemitismus konfrontiert?

Wenn ich in einem Umfeld bin, in dem die Personen wissen, dass ich jüdisch bin, kann das schon vorkommen. Ein Mitschüler hat mich beispielsweise in der Schule mal gefragt, wie ich denn erklären würde, dass nach den Anschlägen vom 11. September in den Twin Towers keine jüdischen Opfer gefunden wurden – was natürlich nicht stimmt.

Es gab tatsächlich Personen, die mir sagten, die Juden seien selbst Schuld am Antisemitismus.

Ich spüre im Allgemeinen aber fast keine Einschränkungen im Alltag. Wohl auch, weil ich visuell nicht als Jude erkennbar bin. Jemand an meiner Schule hatte aber auch schon «Mein Kampf» im Spind. Das kann einem dann mental schon sehr zusetzen.

Video
Antisemitismus – auch in der Schweiz
Aus 10 vor 10 vom 19.02.2019.
abspielen. Laufzeit 52 Sekunden.

Waren solche Erfahrungen auch eine Motivation für deine Maturaarbeit über Antisemitismus in der Stadt Basel?

Das war sicherlich eine Motivation. Mein Hauptanliegen war es aber, den Antisemitismus in der Schweiz zu bekämpfen. Ich wollte eine Arbeit schreiben, die den Menschen Zahlen an die Hand gibt, Fakten. Und so der Diskriminierung von Juden entgegenwirken.

Worum ging es in deiner Arbeit und was waren die wichtigsten Erkenntnisse?

Ich habe den Antisemitismus in der Stadt Basel untersucht. Hierzu habe ich die Wahrnehmung von 70 jüdischen und 110 nicht-jüdischen Personen verglichen.

Rund 95 Prozent aller befragten Juden haben schon mal Antisemitismus erlebt.

Die Zahlen haben mich überrascht: Rund 95 Prozent aller befragten Juden haben schon mal Antisemitismus erlebt. Die befragten nicht-jüdischen Personen schätzten diesen Anteil hingegen nur auf etwa 63 Prozent ein.

In einer so weltoffenen Stadt wie Basel hätte auch ich selbst erwartet, dass der Anteil der Juden, die schon mal Antisemitismus erlebt haben, vielleicht bei 30 Prozent liegt.

Audio
Antisemitismus im Schweizer Alltag
aus Kontext vom 20.01.2019. Bild: Imago / Photomax
abspielen. Laufzeit 13 Minuten 53 Sekunden.

Welche Reaktionen gab es auf deine Arbeit?

Wenn ich im Ausgang von meiner Arbeit erzähle, sind viele überrascht, manche sogar geschockt. Man denkt oft, Antisemitismus komme nur von Rechtsradikalen.

Man denkt oft, Antisemitismus komme nur von Rechtsradikalen. Dabei gibt es von linker Seite her auch Verschwörungstheorien.

Dabei gibt es ja zum Beispiel von linker Seite her auch die Verschwörungstheorie, dass die Juden für die schlechten Seiten des Kapitalismus verantwortlich seien. Es gab tatsächlich Personen, die mir sagten, dass die Juden selbst Schuld am Antisemitismus seien.

Video
Zwei Historiker diskutieren über den neuen Antisemitismus
Aus Sternstunde Religion vom 10.03.2019.
abspielen. Laufzeit 58 Minuten 34 Sekunden.

Wie findest du, sollte man auf antisemitische Aussagen reagieren?

Man sollte der Person nicht einfach sagen, dass man sie dumm findet, bloss weil sie solche Dinge behauptet. Sondern sie ernst nehmen und ihr andere Blickwinkel aufzuzeigen versuchen. So baut die Person nicht einfach eine mentale Wand auf. Sondern merkt vielleicht, dass Juden ganz verschieden sind, wie alle anderen Menschen auch.

Das Interview führte Gina Messerli.

Meistgelesene Artikel