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Fran Lebowitz in Zürich – gewohnt bissig
Aus Kultur-Aktualität vom 01.11.2024. Bild: IMAGO / UPI Photo / John / Angelillo
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Auf Stippvisite in Zürich Fran Lebowitz: «Die Schweiz ist für mich mehr Bank als Land»

Die Frau mit der spitzen Zunge zieht im Volkshaus alle Register ihres scharfen Humors und zeigt, dass Kritik an der Gesellschaft auch Freude am Leben bringt.

«Als ich in Zürich herumging, fragte ein Freund: ‹Wer sind diese Leute hier?› Ich erwiderte: Das sind keine Einheimischen, das sind nur Menschen, die ihr Geld besuchen wollen», sagt Fran Lebowitz: «Die Schweiz war für mich immer mehr Bank als Land.» Wer solch bösen Witz zu schätzen weiss, fand sich gestern Abend im Zürcher Volkshaus ein. Fran Lebowitz trat auf – ohne Show, aber mit ihrer unterhaltsamen Genervtheit. Ihre Kunstform? Sie selbst.

Lebowitz ist eine New Yorkerin, die nie den Wunsch verspürt hat, die Welt zu ergründen – für sie genügt das Wissen um die Absurditäten des Lebens vollauf.

New York trifft Zürich

Seit sie 19 Jahre alt ist, nennt sie Manhattan ihr Zuhause. Verlassen tut es die heute 74-Jährige nur ungern. Man fragt sich, wer den Mut hatte, sie zu überreden, auf eine Tour mit rund 20 Talks zu gehen. Aber die Fans stehen Schlange. Die Serie «Pretend it’s a City» (2021), die während der Pandemie zum Streaming-Hit wurde, machte Lebowitz weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Person mit Sonnenbrille und Schal in belebtem Stadtviertel mit Taxis.
Legende: Schwarz gekleidet, mit Schal und Sonnenbrille: eine waschechte New Yorkerin. IMAGO / Everett Collection

An diesem Abend war das Zürcher Publikum gespannt, wie die Beobachtungen und Anekdoten aus dem «Big Apple» auf die Schweizer Realität treffen würden. Beim Talk durfte der Moderator Tilo Eckardt dem New Yorker Urgestein die Steilvorlagen für ihre Pointen servieren.

Künstliche Intelligenz? «Darüber bin ich nicht besorgt. Teilweise, weil ich es nicht wirklich verstehe, und teilweise, weil mich der Verlust der natürlichen Intelligenz mehr beunruhigt als das Aufkommen der künstlichen Intelligenz.» Smartphones? «Wenn ich Dinge auf einem Handy sehen wollte, hätte ich mir eins besorgt. Ich will nicht auf Dinge auf dem Handy schauen, schon gar nicht auf Sachen über mich.» Zürich? «Beeindruckend ruhig und sauber – eine seltene Kombination, die normalerweise nicht auf Städte zutrifft.»

An Menschen interessiert

Ihren Signature-Look – Hemd, Blazer, Jeans und Cowboyboots – trägt Lebowitz schon seit 50 Jahren. Vanity Fair kürte sie zur Stilikone, doch im Grunde macht sie sich nichts aus Mode. Sie interessiert sich viel mehr für die Menschen dahinter: die, die zerrissene Jeans kaufen oder gar ernsthaft in Erwägung ziehen, Trump zu wählen. Nach ihrem Verständnis auch einfach nur schlechter Geschmack. «Und seit wann ist das Wort Milliarde geläufig?» Lebowitz hat wenig Verständnis für Politik, die sich nicht um die wachsende Ungleichheit schert.

Person spricht in Mikrofon auf Bühne, sitzt in blauem Sessel.
Legende: So tritt sie auf: Fran Lebowitz trägt Jeans, Cowboystiefel, Hemd und Blazer – so gut wie immer. Hier: Lebowitz am Internationalen Frauentag im Long Center im März 2017 in Austin, Texas. Getty Images / Gary Miller

Wer ihr zuhört, versteht schnell, dass Lebowitz es liebt, Menschen zuzusehen – diese Gabe hat sie geschliffen wie einen Diamanten. Sie spricht über Dinge, die vielen längst zur Gewohnheit geworden sind, als seien sie exotisch: Eitelkeit, Selbstoptimierung und viele andere Fragen, die die Konsumgesellschaft quälen.

Nur das Echte zählt

Lebowitz zeigt sich irritiert ob der Frage aus dem Publikum, was ihr am meisten Freude daran bereite, rechthaberisch zu sein. «Ich sehe, Sie sind jung und können kaum glauben, dass jemand wirklich so ist, wie er sich präsentiert. Ich mag nichts daran – ich bin einfach so. Man kann sich nicht aussuchen, wie man ist.»

Vielleicht ist es genau diese Unerschütterlichkeit, die Lebowitz zur Ikone macht. In ihrer Welt zählt das Echte, das Erlebte und das Gelesene mehr als alles Digitale – was so manch einen im Publikum zum Nicken brachte. Lebowitz lebt in einer Wohnung voller Bücher, ohne Computer, ohne WLAN und ohne Smartphone. Ein Mensch ohne Bildschirm – das allein ist heute schon ein Statement.

Radio SRF 2 Kultur, 01.11.2024, 06:13 Uhr

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