Es ist auffällig, dass Schweizer im Ausland häufig grösser, monumentaler und experimenteller bauen als zuhause. Herzog & DeMeuron etwa planen zurzeit in Paris ein Gebäude, das wie ein Dreieck aussieht und im Inneren ein ganzes Stadtquartier in der Vertikalen beherbergt.
Denn Paris ist die Stadt des beengten Wohnens. Ausreichend Platz bietet da nur noch die Höhe. «Ist solch ein Experiment erst einmal im Ausland platziert und etabliert, ist der Weg frei für Gewagteres in der Schweiz», sagt Andreas Ruby, der Direktor des Architekturmuseums in Basel.
Wahrzeichen des Schweizer Bauens im Ausland
In der aktuellen Ausstellung «In Land aus Land. Swiss Architects Abroad» präsentiert das Museum Projekte von Mario Botta, Bernard Tschumi, Peter Zumthor und anderen Schweizer Architekten, die international Wahrzeichen des Schweizer Bauens geschaffen haben.
«Das Büro Herzog & DeMeuron zeigt, wie bestimmte Experimente im Ausland auch zu Veränderungen im Inland führen», sagt Ruby. «Man kann behaupten, dass der Roche-Tower nur gebaut und von der Politik akzeptiert werden konnte, weil diese Architekten bereits im Ausland diverse Grossprojekte realisiert haben.»
Aufregende Affäre im Ausland
Das vertikale Dreieck, das so genannte Triangel in Paris, ist nur eines von insgesamt zehn Projekten, die das Museum zeigt. Beim Gang durch die Ausstellung fällt auf, dass Schweizer Architektinnen und Architekten im Ausland fremdgehen und ihre eigenen Gewohnheiten in Frage stellen.
So erzählt das Architektenduo Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler in der Ausstellung, ihr Ferienhaus auf der griechischen Insel Antiparos sei ihr erstes Haus ganz in weiss. Ihre Häuser in der Schweiz bauen sie für gewöhnlich aus Sichtbeton. Ähnlich verhält es sich bei der Gruppe Nomos. Sie haben in Burkina Faso ein Reha-Zentrum ganz aus Lehmziegeln geschaffen.
Alte Techniken neu entdeckt
Die ausgewählten Beispiele zeigten, dass es weniger darum gehe, Schweizer Baukultur mitsamt hochentwickelten Materialien ins Ausland zu exportieren, als vielmehr darum, lokale Bauweisen und natürliche Rohstoffe wiederzuentdecken, sagt Andreas Ruby. «Auf einmal beschäftigt man sich mit jahrhunderte, teilweise jahrtausende alten Klimatisierungstechniken, die ohne Strom auskommen. Dann merkt man, dass man nicht unbedingt Technologien bräuchte.»
So würden die Architekten im Ausland an traditionelle Bauweisen und natürlichen Materialien herangeführt, die hier in der hochentwickelten Schweiz aus dem Bewusstsein geraten sind.
Fernweh nach Neuem
Der hohe Ausbaustandard in der Schweiz würde das Bauen mittlerweile nicht nur sehr teuer machen, die Planer wären letztlich auch sehr festgelegt. Mehr Spielraum finden Architektinnen wiederum im Ausland. Das Team E2A beispielsweise hat in London und Berlin den so genannten Edel-Rohbau ersonnen.
«Sie bauen nur die Struktur des Hauses, die man unbedingt braucht und lassen so viel wie möglich unvollendet oder offen», erklärt Ruby. Das Hochhaus in London sieht Wohnungen im Edel-Rohbau vor, die die späteren Eigentümer dann von einem anderen Architekten einrichten lassen.
Kreativer Kontrollverlust
Es ist erstaunlich, wie sehr das Bauen im Ausland einem Selbsterfahrungstripp ähnelt. Denn das Abstreifen aller Gewissheiten und das Sich-Einlassen auf etwas Neues, kann im schlimmsten Fall bedeuten, dass Zeichnungen vor Ort von den Bauarbeitern falsch gelesen werden und sich Bauprojekte dadurch verzögern.
«Es kann aber auch dazu führen, dass man erkennt, dass diese ganz sorgsame, durchgetaktete Planungskultur in der Schweiz nicht nur Vorteile hat», findet Andreas Ruby.
Statt einer siebenstündigen Sitzung mit Protokollen, funktioniere manchmal ein anderes Vorgehen viel besser, das auf Zuruf funktioniere; darauf, dass man mit dem Projektentwickler abends mal ein Bier trinken gehe und dabei einen Streit ausräumt.
Schweizer Architektinnen und Architekten lernen im Ausland nicht zuletzt, mit Kontrollverlust umzugehen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 05.07.2017, 17:15 Uhr