«Kunststoff» – der deutsche Name für Plastik ist fast schon poetisch. Allerdings hat der Mensch mit diesem Nebenprodukt aus der Erdöl- und Erdgasgewinnung wenig Poetisches angerichtet.
«Fossile Rohstoffe haben Jahrmillionen gebraucht, um zu entstehen, unter anderem auch am Boden der Weltmeere», sagt Jochen Eisenbrand, Chefkurator am Vitra Design Museum. Der Mensch habe dagegen nur 150 Jahre benötigt, um Kunststoffe zu entwickeln und damit die Weltmeere zu verschmutzen.
Kunststoff aus Ochsenblut
Die Ausstellung zeichnet den Weg der Plastikentwicklung mit Objekten und Plakaten, Zeitschriften und Fotos chronologisch nach. Dabei beginnt sie überraschenderweise weit vor dem eigentlichen Plastik: mit Material, das plastisch formbar ist.
Das älteste Exponat ist ein Reise-Besteck mit Schildpatt-Verkleidung aus dem 17. Jahrhundert. Horn lässt sich unter Hitze verbiegen.
Bald begann der Mensch, schon immer erfinderisch, Materialien zu mischen: Mitte des 19. Jahrhunderts kreierte Francois Charles Lepage aus Sägemehl und gehärtetem Ochsenblut den natürlichen Kunststoff « Bois Durci», der sich prägen lässt.
Kolonien als Rohstofflager
Tierisches ist auch im Schellack enthalten. Dieser Lackharz wird aus einer südostasiatischen Schildlaus gewonnen. An diesem Beispiel legt die Ausstellung die globalen Machtungleichheiten offen, die hinter diesen westlichen Erfindungen stehen.
«Im 19. Jahrhundert waren die kolonialisierten Länder für viele Kolonialmächte wie Rohstofflager», erzählt Jochen Eisenbrand. Das galt etwa für das Guttapercha, eine Art Naturgummi.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Material zur Isolierung von Unterseekabel zur Telekommunikation verwendet. Dabei wurde so viel davon benötigt, dass der Guttapercha-Baum Ende des 19. Jahrhunderts fast ausgerottet war, erklärt der Kurator.
1907 wurde mit dem Bakelit der erste komplett synthetische Kunststoff hergestellt. Es handelt sich dabei um eine Kunstharz-Mischung. Plastik aus Erdöl kam erst später.
Eigentlich ist Plastik eine Materialfamilie. Die Ressourcenknappheit während des Zweiten Weltkriegs beflügelte die weitere Erfindung von Kunststoffen ebenso wie die Konsumfreudigkeit der Nachkriegsjahre.
Verheissungen der Wegwerfgesellschaft
Der Begriff «Wegwerfgesellschaft» war dabei einst positiv gemeint. Das belegt ein Foto im US-amerikanischen «Life»-Magazin von 1955. Es zeigt eine Familie, die Einweggeschirr freudig in einen überquellenden Mülleimer wirft.
«Der Artikel spricht davon, welch wunderbare Erleichterung es für die Hausfrau ist, diese Dinge einfach wegwerfen zu können», so Eisenbrand. Zuvor hätte sie für die Reinigung viele Stunden benötigt.
Algen und Pilze statt Kunststoff
Ende der 1960er-Jahre erwacht ein Umweltbewusstsein. Erste Ölkatastrophen weisen auf die schädliche Seite des Ressourcenverbrauchs hin. Es finden sich Spuren von Mikroplastik im Meer. Damit kommt die Ausstellung in der Gegenwart an.
Heutige Designerinnen und Designer sind sich der Probleme bewusst, die der Plastik mit sich bringt. Das verändert ihren Beruf. So entwickeln sie plastikfreie Stoffe, zum Beispiel aus Bananenfasern oder Algen. Und sie tüfteln an rezyklier- und reparierbaren Objekten.
Verschwunden ist Plastik aus unserem Alltag dennoch nicht. Man denke an die Gesichtsmasken während der Pandemie: Sie werden aus gesponnenem Polypropylen hergestellt, einem Kunststoff, der ein so dichtes Vlies ergibt, dass das Coronavirus nicht durchkommt.
«Das rettet Leben», meint Eisenbrand. «Aber zugleich brauchen die Masken Hunderte von Jahren, um sich abzubauen.» Plastik ist und bleibt ein Material zwischen Fluch und Segen.