Spätestens seit der Berliner Zoo den Eisbären Knut medial um die Welt schickte, war klar: Zooanlagen sind mehr als Aufbewahrungsanstalten für exotische Tiere. Zoos sind soziale Schnittpunkte zwischen Tier und Mensch.
Gelenkter Blick im Tiergefängnis
Die Berliner Architektin Natascha Meuser hat zehn Jahre zur Baugeschichte moderner Tierbauten gearbeitet und Zoos aus allen Ländern der Welt dokumentiert. Auffällig ist das alle heutigen Zoos verbindende Element, erläutert Natascha Meuser:
«Streift man heute durch einen Tierpark oder städtischen Zoo, dann ist man nicht in einem Tiergefängnis gelandet. Sondern man bewegt sich in einem durchgestalteten Landschaftspark mit Tier-Gehegen.»
Nichts sei zufällig oder natürlich, alles sei inszenierter Raum: «Jeder Busch, jeder Baumstumpf ist wohl platziert.» Der Blick des Besuchers wird gelenkt, das Gehege verwandelt sich so im Auge des Tierfreundes zur Bühne.
Von der koloniale Trophäe zum beseelten Wesen
Natascha Meuser erzählt in ihrem Buch mehrere Geschichten zugleich. Da ist zum einen die Entwicklungslinie vom kolonialen Schaufenster, das wilde Tiere wie Trophäen ausstellte, hin zu einem Tierpark für die ganze Familie – so wie wir ihn heute kennen.
Im 19. Jahrhundert waren Zoos in erster Linie Prestigeobjekte mit der Botschaft: Wilde Tiere sind Beutegut, das alle Menschen sehen sollen.
Angestossen durch die Evolutionstheorie von Charles Darwin veränderte sich das Bewusstsein gegenüber dem Tier. Aus der wilden Bestie wurde das mit dem Menschen verwandte Tierwesen.
So wandelte sich der «Tierknast» in einen Tierpark, der mit den Tieren nun etwas pfleglicher umging und listenreich die angestammte Tierwelt vor heimischer Kulisse vorgaukelte.
Die Idee des gitterlosen Zoos entwickelte Carl Hagenbeck in Hamburg um das Jahr 1900. Für Natascha Meuser ist dieser Tierpark der Vorreiter des modernen Event-Zoos: «Hagenbecks Utopie war sensationell: In seinem Tierpark wurde erstmals auf Gitterstäbe verzichtet. Man war mit der Raubkatze auf Blickkontakt und spürte den Kitzel der Grosswildjagd.»
Spielplatz für Architekten
Neben dem historischen Abriss der Beziehung von Zootier und Mensch entwirft die Autorin auch eine Globalgeschichte der Tierpark-Architektur. Nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich die Idee vom Erholungspark mit markanter Architektur rasant weiter. Ein schönes Beispiel hierfür ist der 1955 eröffnete und von Heinz Graffunder entworfene Ostberliner Tierpark.
Herzstück des weltweiten bestaunten Tierparks war ein 5’300 Quadratmeter grosses Tierhaus mit riesigen Felsenhallen für Löwen und Tiger und einer begehbaren Tropenhalle mit Flughunden und Vögeln.
Inspiriert wurde diese Architektur auch durch das Elefanten- und Raubtierhaus im Basler Zoo. Tiere wurden nicht mehr einfach weggesperrt, sondern architektonisch geschickt von den Besuchern getrennt.
Der Zoo von morgen
Mit Natascha Meusers monumentaler Zoobau-Geschichte liegt erstmals ein Buch vor, das Tierbauten geschichtlich und bautechnisch unter die Lupe nimmt – und auch einen Blick in die Zukunft wirft.
Zoopläne für Singapur und Sankt Petersburg zeigen extravagante Flächen mit Wabenbauten, die eine Verschmelzung von Forschungs-, Bildungs- und Unterhaltungsareal anstreben.
Auch Natascha Meuser teilt deren Anliegen, dem Bildungsauftrag des Zoos gerecht zu werden, ohne mit anderen Erlebnisinstitutionen zu konkurrieren: «Der Zoo muss sich hin zur Wissenschaft entwickeln – zu einer Art Museum werden, an der Schnittstelle zwischen dem Erlebnis des Zoobesuchs, dem lebendigen Tier und der Wissenschaft und deren Vermittlung»
Zoo als Bildungsanstalt
Möglicherweise werden zukünftige Zoobauten sich ganz dem Artenschutz verschreiben. Der Mensch wäre dann lediglich ein geduldeter Besucher und kein Störenfried mehr, der mit einer Eiswaffel in der Hand Robben, Löwen und Elefanten beim possierlichen Spiel beobachtet. Die Tiere indes blieben bis auf Weiteres trotz allem Gefangene.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 20.3.2018, 7:20 Uhr