«Er sah nicht aus wie ein Krimineller», sagte eine Norwegerin namens Silvia, als ihr längst klar war: Ihre Gefühle für diesen Mann waren echt, aber er war nicht der Märchenprinz, für den sie ihn gehalten hatte. Kleiner Trost, dass sie mit ihrer Geschichte nicht allein ist?
Arnaud du Tilh – Der falsche Wiedergänger
Der Fall: 1538. Die wohlhabende Bauerntochter Bertrande und Gatte Martin Guerre leben in einem Dorf in Frankreich. Als sein Vater Martin des Diebstahls bezichtigt, flieht er. Acht Jahre später steht er wieder vor der Tür. Er trägt jetzt die Schuhe zwei Nummern kleiner, und sein Onkel traut ihm nicht. Als es zu Erbstreitigkeiten kommt, zieht er ihn vor Gericht. Ist dieser Martin ein Schwindler?
Die Masche: Tatsächlich ist der Zurückgekehrte der ärmere, aber ähnlich aussehende Arnaud du Tilh. Er gibt einen so formidablen Martin ab, dass kaum jemand es merkt. Vor Gericht werden 150 Zeuginnen und Zeugen befragt. Mitten im Prozess taucht ein Mann auf: Der echte Martin hat Wind von der Geschichte bekommen und wird von den Schwestern und Bertrande erkannt.
Die Folgen: Arnaud wird wegen Identitätsdiebstahls, Diebstahls und Unzucht verurteilt und gehängt, seine Frau Bertrande vom Gericht freigesprochen. Aber war sie wirklich ein getäuschtes Opfer oder gewiefte Mitspielerin?
Der Gerichtsfall zum Identitätsdiebstahl wird zum Standardtext für Jus-Studierende. Alexandre Dumas widmet dem Hochstapler ein Buch und gleich zwei Filme drehen sich um den Betrüger: 1982 «La Retour de Martin Guerre» mit Gérard Depardieu, 1993 die amerikanische Version «Sommersby» mit Richard Gere und Jodie Foster.
Amy Bock – Hochstaplerin in Hosen
Der Fall: Der neuseeländische Schafzüchter Percy Redwood ist reich, beliebt und bald einmal verlobt – er heiratet 1909. Die Hochzeitsnacht verbringt das Paar getrennt. Kurz darauf findet die Polizei in Redwoods früherer Unterkunft Frauenkleider. Der vermeintliche Gentleman wird verhaftet. Es handelt sich um die Betrügerin Amy Bock.
Die Masche: Amy Bock geht als erste Wiederholungstäterin in die Geschichte Neuseelands ein. Lange vor ihrer Verkleidung als Mann schlägt sie sich mit Betrügereien durch. Als Gouvernante reist sie von Familie zu Familie, bestiehlt diese oder nimmt einen Kredit auf ihr Hab und Gut auf. Sie landet einige Male im Gefängnis, kommt wieder frei und begeht neue Betrügereien. Schliesslich taucht sie unter und erfindet sich als Schafzüchter Percy Redwood neu.
Die Folgen: Nachdem die Geschichte auffliegt, sitzt Amy Bock zwei Jahre im Gefängnis. Schon damals wird sie zur Berühmtheit. Zeitungen schreiben wochenlang über den weiblichen Bräutigam, Postkarten mit Amy in Männerkleidung werden zum Verkaufsschlager. 1914 heiratet sie noch einmal. Diesmal lügt sie zwar nicht mehr beim Geschlecht, dafür beim Alter: Sie ist 55, gibt sich aber 14 Jahre jünger aus.
Clark Rockefeller – Ein Mörder in Manhattan
Der Fall: Harvard-Absolventin Sandra Boss verliebt sich in Clark Rockefeller – angeblich gehört er zum Rockefeller-Clan. Nach 13 Ehejahren lässt sie sich 2007 scheiden. Sandra erhält das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter, die wenig später von ihrem Vater entführt wird. Die Polizei entdeckt ihn einige Tage später. Er heisst jetzt Chip Smith.
Die Masche: Es ist nicht das erste Mal, dass sich «Clark» einen neuen Namen zulegt. Christian Gerhartsreiter zieht es mit 17 von Bayern in die USA. Bald ändert er seinen Namen zu Chris Gerhart. 1981 heiratet er, um die Green Card zu kriegen. Er verlässt seine Frau schon am nächsten Tag.
Gerhartsreiter erfindet sich immer wieder neu. Für einige Zeit gibt er sich als britischer Aristokrat aus, wohnt aber über einer Garage. Eines Tages verschwinden der Sohn und die Schwiegertochter der Vermieterin spurlos, Gerhartsreiter sucht das Weite.
Die Leiche des Sohnes wird Jahre später im Garten ausgegraben. Zu der Zeit ist Gerhartsreiter schon in die Rolle des Rockefellers geschlüpft und lebt vom Geld seiner Frau. Die Entführung seiner Tochter wird ihm zum Verhängnis. Gerhartsreiter wird entlarvt, ebenso seine alten Identitäten. Später steht er wegen Mordes vor Gericht.
Die Folgen: Gerhartsreiter führte das FBI jahrzehntelang an der Nase herum. Seine Geschichte wird 2010 für das Fernsehen verfilmt – noch vor dem Mordprozess. Der Hochstapler wird 2013 wegen vorsätzlichen Mordes zu 27 Jahren Haft verurteilt. Sandra Boss zieht nach der Scheidung nach London.
Helg Sgarbi – Schweizer mit Schmuddelfilmen
Der Fall: Die BMW-Erbin Susanne Klatte lernt den Schweizer Helg Sgarbi 2007 in einer Bar kennen und hilft ihm aus seinen angeblichen finanziellen Schwierigkeiten. Sein Dank? Ihr Geliebter erpresst sie mit einem eindeutigen Filmchen aus dem Schlafzimmer, schlappe 14 Millionen Euro will er dafür. Klatten lässt den Schweizer bei der Geldübergabe festnehmen und verklagt ihn.
Die Masche: Helg Sgarbi lernt Frauen in Wellness-Hotels kennen, beginnt romantische Beziehungen mit ihnen, betrügt sie um hohe Geldbeträge und filmt die pikanten Zusammenkünfte heimlich. Das Filmmaterial nutzt Sgarbi, um die Frauen später zu erpressen.
Er wird verdächtigt, das Geld dem italienischen Sektenführer Ernano Barretta zu geben. Bei Susanne Klatten macht Sgarbi mit Abstand die grösste Beute. Klatten verklagt ihn auf 7 Millionen Euro, weitere 2,4 Millionen sind für andere Betrugsopfer.
Die Folgen: Helg Sgarbi wandert für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis. Die ergaunerten Millionen bleiben verschwunden. Schwerer wiegen für Susanne Schlatten wohl die anhaltenden Schlagzeilen.
Zuletzt erschien ihr Name 2020 in der Presse, wenn auch nur als Nebengeschichte: Mittlerweile ist Sgarbi nämlich wieder auf freiem Fuss – und scheint wieder fündig geworden. Der 55-Jährige erbt 2020 das Vermögen eines 20 Jahre älteren, früheren Topmodels. Helg Sgarbi sagt: «Es war Liebe.»
Simon Leviev – Der Tinder-Schwindler
Der Fall: Kaviar, Champagner und Privatjets: Simon Leviev, der eigentlich Shimon Hyut heisst, sich aber als Erbe einer Diamanten-Dynastie ausgibt, scheint der Jackpot auf Tinder. Er behandelt die Norwegerin Cecile wie eine Prinzessin. Doch irgendwann kippt's. Er werde bedroht, sagt Shimon, müsse seine Kreditkarten sperren und untertauchen. Cecile leiht ihm ihre Ersparnisse.
Die Masche: Der «Tindler Swindler» wird dank eines Netflix-Films berühmt. Der Trickbetrüger aus Israel finanziert sich seine Maskerade durch verschiedene Frauen. Die eine lädt er in seinem Privatjet dank des Geldes einer anderen ein, die ihm aus der Patsche helfen will.
Die Folgen: Um die 10 Millionen US-Dollar soll Hyut in zwei Jahren ergaunert haben. Die Opfer haben ihr Geld nie wieder gesehen. Cecile, die Norwegerin in der Netflix-Doku, nimmt mittlerweile an einer Dating-Fernsehshow teil.
Wegen gefälschter Identität sitzt der Israeli kurz im Knast. Generell scheint ihm die Aufmerksamkeit aber nicht geschadet zu haben. Im November meldet sich eine Frau: Sie habe Simon trotz der Netflix-Doku vertraut und ihm 130'000 Dollar gegeben. Einer Zeitung erzählt sie: «Er sah nicht aus wie ein Krimineller.»