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Beruflicher Neuanfang Karrierewende mit 40: Wie ein Jobwechsel das Leben verändert

Viele Arbeitnehmende träumen vom Berufswechsel, doch häufig fehlt es an Geld, Mut oder Hilfe. Drei Menschen berichten, warum sie den Neuanfang trotzdem gewagt haben – und dadurch an Potenzial und Unabhängigkeit dazugewonnen haben.

Heute ist es nicht mehr üblich, ein ganzes Leben lang ein- und denselben Beruf auszuüben. Was tun, wenn der Job langweilt oder gar unglücklich macht? Was, wenn man fürchtet, den Job zu verlieren und keinen neuen zu finden? Ein Wechsel ist angesagt. Doch viele stecken in Lebensumständen, die es nicht erlauben, etwas Neues zu wagen.

Der Bundesrat hat deshalb 2021 das Projekt «viamia» gestartet. Dort können Arbeitnehmende ab 40 eine kostenlose Standortbestimmung machen. Das Ziel: die individuelle «Arbeitsmarktfähigkeit» überprüfen, vergleichbar mit einem Gesundheitscheck beim Arzt.

Schnelle Lösungen über Beratungsangebote sind selten, Neuorientierungen oft lange und komplexe Prozesse. Dabei können bereits kleine Anpassungen helfen, die finanzielle Situation oder die eigene Zufriedenheit zu verbessern, wie die Erfahrungsberichte dreier Menschen aus der Schweiz zeigen.

Karine Näf (43), Hausfrau

«Eines Morgens bin ich aufgewacht und habe mich gefragt: 40 Jahre, war’s das? Und dann habe ich alles infrage gestellt. Wie lebe ich, mit wem lebe ich? Und was mache ich? Mir wurde klar: Es musste sich etwas verändern.»

Mitarbeiterin in Bäckerei mit Gebäck.
Legende: Karine Näf hat ursprünglich Nordistik, Pädagogik und Deutsche Literaturwissenschaften studiert, wusste aber nicht, wie sie damit Geld verdienen sollte. Zwischenzeitlich arbeitete sie bei Ikea, bevor sie ihre Ausbildung als Sprachlehrerin begann. SRF

Karine Näf hatte ein gutes Leben. Sie wohnte mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in einem Haus in der Nähe von Zürich. Der Mann arbeitete viel, verdiente gutes Geld, sie schmiss daheim den Laden. Die Jahre zogen ins Land und Karine Näf erkannte, dass sie mehr vom Leben wollte. Sie wollte sich trennen, doch sie hatte in jungen Jahren einen Ehevertrag unterschrieben und kein eigenes Geld.

Ich ging zu Ikea und verkaufte Hot Dogs.
Autor: Karine Näf ehemalige Hausfrau

Während der Ehejahre hat sie nur wenig gearbeitet. Einzig ihre Muttersprache Norwegisch hatte sie unterrichtet, was aber kaum etwas einbrachte. Also ging sie als Erstes zu Ikea und verkaufte Hot Dogs. Ihr war klar, das konnte nur der erste Schritt sein: «Du stehst in diesem Hot Dog-Dampf, den ganzen Tag. Und am Abend stinkt alles nach Hot Dog. Das ist das Schlimmste.»

Karine Näf hatte vom Programm «viamia» gehört. Sie wollte eine Standortbestimmung machen und ging ins nächste Berufsinformations-Zentrum (biz). Gemeinsam mit einer Beraterin schaute sie sich ihre Situation genauer an.

Beratungsangebote für Erwachsene in der Schweiz

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Das Programm «viamia» gibt es in der ganzen Schweiz. 2021 durch den Bundesrat lanciert, wird es noch bis Ende 2025 vom Bund finanziert. Danach entscheidet jeder Kanton selbst, ob er es weiterführen möchte.

Im Sommer 2024 liessen sich schweizweit 17’437 Personen beraten. 70 Prozent davon waren Frauen. Insgesamt 21 Prozent der Ratsuchenden kamen aus der Branche Gesundheit- und Sozialwesen.

Neben den öffentlichen gibt es noch weitere Beratungsangebote, zum Beispiel das IAP der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften oder das S&B Institut in Bülach. Eine Übersicht aller Anbieter findet sich auf https://www.laufbahnswiss.ch/.

«Ich arbeite mit den Ratsuchenden über mehrere Sitzungen. Gerne auch mit Fragebogen und diagnostischen Verfahren, die sie zu Hause ausfüllen», sagt die Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin Lara Gossweiler. Karine Näf hat mit ihrer Hilfe eine Weichenstellung vorgenommen. Sie hat gemerkt, dass sie sehr gerne unterrichtet, aber, dass sie Deutsch unterrichten müsste, damit sie genügend verdient.

Frau am Tisch liest ein Buch und arbeitet am Laptop.
Legende: Über die Standortbestimmung fand Karine Näf zu ihrem heutigen Job als Deutschlehrerin (DAZ, Deutsch als Zweitsprache). SRF

Da Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, musste sie ihr Niveau prüfen lassen. Am Goethe-Institut hat sie die C2-Prüfung absolviert, das höchste Diplom in diesem Bereich. «Das war ein Meilenstein in meinem beruflichen Leben.» Bei der Migros Klubschule konnte sie im Laufe der Zeit immer mehr Deutschklassen übernehmen. Heute kann sie von ihrem neuen Beruf leben.

Andreas Steiner (44), Automechaniker

«Als Jugendlicher wollte ich Musiker oder Profikletterer werden. Die Berufswahl hat mich nie richtig interessiert», sagt Andreas Steiner. Auf seinen Beruf kam er schliesslich durch seinen Lehrer. Dieser fand, Automechaniker könnte gut zu ihm und seinen Fähigkeiten passen.

Andreas Steiner ging schnuppern, es gefiel ihm und er begann seine Lehre. Er arbeitete für verschiedene Arbeitgeber, bis er schliesslich länger in einer Garage blieb, in der sich sein Arbeitsverhältnis aber zunehmend verschlechterte.

Fehlende Wertschätzung und Unterforderung bei den ihm zugeteilten Aufgaben belasteten ihn. Dazu erkrankte er an einer Schilddrüsen-Überfunktion. Vorher hatte er sehr viel Sport gemacht und auch an Wettkämpfen teilgenommen. Das konnte er von heute auf morgen nicht mehr.

«Die Krankheit hat mich zur Ruhe gezwungen, mich in einen Veränderungsprozess gebracht, ins Reflektieren. Das hat sehr viele Persönlichkeitsfragen bei mir ausgelöst: Was will ich, und wohin will ich mit 40? Was will ich nicht mehr? Da war, glaube ich, schon etwas Schicksal dabei.»

In der Schweiz kann man ausbildungstechnisch sehr viel machen. Aber wenn man das nötige Kleingeld nicht hat, wird es auch hier schwierig.
Autor: Andreas Steiner gelernter Automechaniker

Das Schicksal hatte noch zwei weitere Überraschungen für ihn parat: Andreas Steiner lernte eine neue Frau kennen. Sie ermutigte ihn, sein Leben zu verändern. Sie spiegelte ihm, dass er als Automechaniker sein Potenzial nicht ausschöpfen konnte.

Zudem bekam er eines Tages einen eingeschriebenen Brief: «Es war eine Testamentseröffnung von meinem Stiefvater. Er hat mich damals adoptiert. Ich hatte 20 Jahre keinen Kontakt mehr zu ihm.» Das Testament besagte, dass Andreas Steiner alleiniger Erbe ist.

Wenn das Geld fehlt: Stipendien und Darlehen beantragen

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In der Schweiz gibt es die Möglichkeit, für eine Ausbildung Stipendien oder ein Darlehen zu beantragen. Beides ist kantonal geregelt. Im Kanton Zürich beispielsweise können Personen aus Familien mit wenig Geld für eine staatlich anerkannte Ausbildung Geld beantragen: Stipendien sind bis zum 35. Altersjahr und Darlehen bis zum 45. Altersjahr möglich.

Das Gleiche gilt für Menschen mit Migrationshintergrund, insofern sie einen Wohnsitz im Kanton Zürich haben und die obigen Punkte erfüllen. Neben den kantonalen Geldern gibt es verschiedene Stiftungen, die Ausbildungen finanzieren. Weitere Informationen zu kantonalen Stipendienstellen gibt es unter edk.ch, zur Stiftung für Bildungsförderung unter educaswiss.ch.

«Die Schweiz ist ein Land, in dem man ausbildungstechnisch sehr viel machen kann. Aber wenn man das nötige Kleingeld nicht hat, wird es auch hier schwierig.» Das Erbe eröffnete ihm ganz neue Möglichkeiten.

Im Austausch mit seiner neuen Partnerin merkte Andreas Steiner, dass er über das Fachliche hinaus mit Menschen zusammenarbeiten möchte. Eine Bekannte arbeitete bei «Agogis», einer Ausbildnerin für Sozialberufe. Dort liess sich Andreas beraten und entschied, ein Studium an einer höheren Fachschule zu starten.

An der Berufs-, Fach- und Fortbildungsschule (BFF) in Bern absolvierte er die Aufnahmeprüfung zum Sozialpädagogen HF. Das Schulgeld von mehreren Tausend Franken zahlt teilweise sein Arbeitgeber, die Stiftung «Passaggio» in Lützelflüh.

Aber trotz des Erbes musste er sein Leben günstiger gestalten. Er tauschte seine komfortable 3.5-Zimmer-Wohnung in der Nähe von Bern mit einem Studio auf dem Land. Nach 20 Jahren ging er wieder in die Schule und ist heute froh darum: «Mit dieser Ausbildung stehen mir viele neue Wege offen.»

Claudia Dunkel (40), Case Managerin

Claudia Dunkel lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bern, an der Grenze zu Ostermundigen. Sie beschreibt sich selbst als eine Suchende, die sich dem lebenslangen Lernen verschrieben hat. Zuerst hat sie den Beruf Pflegefachfrau erlernt und 15 Jahre im Spital gearbeitet.

Später kamen verschiedene Weiterbildungen (CAS) im Bereich Case Management dazu, und schliesslich ein Master in «Mental Health». Danach machte sie eine Weiterbildung im Bereich Sozialversicherungen und begann in Zürich als Case Managerin zu arbeiten.

Frau sitzt vor einem Laptop und nimmt an einem Videoanruf teil. Im Hintergrund ist ein Bügelbrett zu sehen.
Legende: Für Claudia wurde in Beratungsgesprächen klar: Das, was sie wirklich im Innersten machen wollte, war noch nicht an die Oberfläche gekommen. SRF

Die Klienten, die sie zu gesundheitlichen Themen begleitet hat, waren in der ganzen Schweiz verstreut: «In Spitzenzeiten bin ich manchmal nach Basel, weiter an die französische Grenze, dann wieder nach Zürich und abends zurück nach Bern gefahren. Manchmal bin ich vier Stunden am Tag gereist.»

Sie arbeitete viel, war in Erwartung ihres dritten Kindes und kämpfte im Zug mit der Schwangerschaftsübelkeit. «Abends habe ich jeweils alles nachgearbeitet. Da waren immer wieder Momente dabei, wo ich dachte: Diese Fahrerei, was mache ich hier eigentlich?»

Claudia Dunkel wollte ihr Leben verändern: weniger Stress, mehr Zeit für die Familie. Im Internet suchte sie sich eine Laufbahnberatung. Sie begann mit der Beraterin Selma Kuyas zu arbeiten und fand im Coaching heraus, dass sie ihre Bestimmung noch nicht gefunden hatte. Sie entwickelte die Idee, sich selbständig zu machen und wählte ein Gebiet, das ihr sehr nahe ist: den Umgang mit Trauer und dem Tod.

Als mein Gottenkind verstarb, wusste ich, ich will etwas mit Trauerarbeit machen.
Autor: Claudia Dunkel ehemalige Case Managerin

«Seit ich 19 bin und anfing, in der Pflege zu arbeiten, bin ich mit dem Thema Tod konfrontiert. Privat gab es später für mich zwei Punkte, die sehr einschneidend waren und die mich mit dem Thema Trauer und Loslassen konfrontiert haben: Das eine war, als meine geliebte Grossmutter verstarb. Und das Zweite, als mein Gottenkind kurz nach der Geburt starb. Das waren Momente, die mich sehr bewegt haben, heute wie damals. Dort merkt man, wie das Leben spielen kann.»

Claudia Dunkel entschied sich, Trauerbegleiterin zu werden und machte eine Weiterbildung. In Winterthur, bei Monica Lonoce und ihrer Schule für Trauerbegleitung. Bis zum Zertifikat dauerte es zwei Jahre, am Ende stand die Abschlussarbeit mit über 50 Seiten an.

Heute ist Claudia Dunkel zufrieden, auch wenn sie nur noch einen Teil ihres Einkommens erzielt, das sie mal als Case Managerin hatte: «Wenn ich zurückdenke, würde ich mein Leben nicht mehr eintauschen wollen.»

Arbeitsleben in der Schweiz

Die Erwerbsdauer wird in Zukunft tendenziell länger. Denn die Schweiz hat zusammen mit Japan und Schweden die älteste Bevölkerung der Welt. Heute kommen 29 Pensionierte auf 100 Erwerbstätige. Im Jahr 2040 wird das Verhältnis 50 zu 100 sein.

Immer weniger Erwerbstätige finanzieren immer mehr Rentnerinnen und Rentner. Damit das noch aufgeht, könnte das Pensionsalter weiter angepasst werden. Die Frage, was man arbeitet, wird zusehends an Wichtigkeit gewinnen.

Streaminghinweis

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Der Dokfilm «Berufliche Neuorientierung – mit 40 nochmal auf Start» ist zum Streamen auf Play SRF verfügbar.

SRF 1, Dok, 9.1.2024, 20:10 Uhr

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