Venedig ist wieder voller Touristen und Touristinnen. Zwar sind es noch nicht so viele wie vor der Corona-Pandemie, als jährlich rund 23 Millionen Menschen anreisten.
Doch schon jetzt sind der Markusplatz und die wichtigsten Verbindungsgassen so voll mit Menschen, dass es zu langen Staus kommt. Vor dem Markusdom und dem Dogenpalast bilden sich wieder lange Schlangen von Touristen.
Zu teuer für Einheimische
Je mehr Touristen nach Venedig kommen, umso grösser ist die Nachfrage nach Unterkünften und Lokalen. Hoteliers und Restaurantbesitzerinnen zahlen immer höhere Preise für neuen Wohn- und Nutzraum.
Einheimischen werden so hohe Preise für ihre Wohnungen geboten, dass sich viele dazu verführen lassen, sie zu verkaufen. Dazu kommt, dass immer mehr Venezianer wegziehen und aus ihren Apartments lukrative Ferienwohnungen machen. Mit Touristen verdient man schliesslich viel mehr als mit normalen Mietern.
Die Folgen sind dramatisch: Die Stadt entvölkert sich und wird zunehmend zu einer historischen Kulisse für Touristenmassen, die durchschnittlich nur zwei Tage in der Stadt bleiben.
Eine normale kommunale Infrastruktur weicht einem ausufernden touristischen Dienstleistungssektor. Venedig verkommt zunehmend zu einem kunsthistorischen Disneyland.
Venezianer machen mobil
Gegen diese Entwicklung kämpfen verschiedene Bürgerinitiativen, etwa mit aufsehenerregenden Protestaktionen. So wurde vor einigen Jahren mit einem rosafarbenen Sarg, der auf einer Gondel über den Canal Grande gefahren wurde, die Stadt Venedig symbolisch zu Grabe getragen. Aktivistinnen und Aktivisten verkleideten sich als Pandabären, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie als Venezianer einer bedrohten Gattung angehören.
Und Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro? Er scheint nur am Wohl der Tourismusbranche interessiert zu sein. Nur nach langem Druck durch die Unesco, immerhin ist die ganze Stadt ein Weltkulturgut, und des italienischen Kulturministeriums wird ab Januar 2023 eine tägliche Höchstgrenze für Touristinnen eingeführt: maximal 40'000 Personen pro Tag.
Der Markt soll es regeln
Aber diese Massnahme ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Stadtverwaltung scheint es nicht zu interessieren, dass immer mehr Venezianerinnen wegziehen. Es gibt keine Initiativen, um neue Bürger anzulocken. Bürgermeister Brugnaro meint, der freie Markt werde das schon regeln.
Venedigs ehemaliger berühmter Bürgermeister, der Philosoph Massimo Cacciari, sieht nur einen Ausweg aus dieser Situation: Ohne kräftige Investitionshilfen seitens des Staates für die Ansiedlung neuer Bürger werde Venedig bald zu einer heillos überlaufenen und verschmutzten Kulisse verkommen. Zu einem Freilichtmuseum, in dem die wenigen verbliebenen Venezianer als Angestellte den Tourismus am Laufen halten.