Die Corona-Pandemie als Chance für den Tourismus, als eine wohltuende Zwangspause: Die Bewohner der Lagunenstadt sahen die Gelegenheit, den Massentourismus vor ihrer Haustüre neu zu denken. Davon übrig geblieben ist aber offenbar nichts. Das zeigt das Gespräch mit der Journalistin Petra Reski. Sie lebt seit 30 Jahren in Venedig.
SRF News: Wie präsentiert sich die Situation aktuell in Venedig?
Petra Reski: Aktuell sieht es so aus, wie es 2019 kurz vor einer Pandemie ausgesehen hat. Die einzigen, die noch fehlen, sind die chinesischen Touristen. Ansonsten ist es der gleiche Massentourismus wie vorher. Wir haben 2019 33 Millionen Besucherinnen und Besucher gehabt und werden uns wohl dieses Jahr wieder den gleichen Zahlen annähern.
Warum werden die Sorgen der Bevölkerung nicht gehört?
Das liegt vor allem daran, dass die Entscheidungen zu Venedig letztlich nicht von den Venezianern oder den Politikern, die sie wählen, gefällt werden, sondern vom Festland aus. Denn Venedig hat keine verwaltungstechnische Autonomie. Doch selbst der Präfekt von Venedig sagte, dass Venedig dem sicheren Tod geweiht ist, wenn der Tourismus so weitergeht wie im Moment. Und man sollte sich vielleicht den einen oder anderen Gedanken darüber machen.
Ein normales Leben hier ist nicht mehr vorgesehen.
Was bedeutet das konkret? Wie stirbt eine Stadt wie Venedig?
Eine Stadt stirbt, wenn keine Bewohner mehr da sind. Dann bleibt von Venedig nichts anderes übrig als eine Art Pompeji. Es bleiben noch ein paar Gebäude, die inzwischen alle in privater Hand sind und auch als solche genutzt werden, die aber nichts mehr mit dem venezianischen Leben zu tun haben. Doch die meisten, die nach Venedig kommen, wollen nicht nur irgendwie Gebäude sehen. Sie wollen auch venezianisches Leben erfahren. Nur: Das können sie nicht, wenn es das nicht mehr gibt.
Wenn keine bezahlbaren Wohnungen mehr gefunden werden können, können sich keine Familien mehr niederlassen. Das hat zur Folge, dass Schulen geschlossen und das Krankenhaus verkleinert werden. Auch Ärzte oder Beamte wollen nicht mehr nach Venedig kommen. Ein normales Leben ist hier nicht mehr vorgesehen.
Die Zerstörung der Lagune schreitet voran.
Das ist der bevorstehende Tod von Venedig. Und wir reden hier nicht von Jahrzehnten, sondern von den nächsten Jahren. Denn angesichts dessen, dass pro Jahr mindestens 1000 Einwohner Venedig verlassen, kann man sich ausrechnen, wann das der Fall sein wird.
Die Zufahrt für Kreuzfahrtschiffe wurde beschränkt. Was bringt das?
Es gibt de facto keine Beschränkung. Leider wurde das von den Medien falsch dargestellt. Es ist inzwischen nur so, dass Kreuzfahrtschiffe nicht mehr über das Markusbecken einfahren können; sie müssen über den Kanal für Erdöltanker einfahren und im Industriehafen ankern. Es geht im Wesentlichen um die Erosion und wo sie ausgelöst wird. Im einen oder anderen Kanal ist für die Lagune völlig egal. Das heisst, nach wie vor fahren Kreuzfahrtschiffe ein. Sie sind einfach nicht mehr sichtbar. Aber die Zerstörung der Lagune schreitet voran, da hat sich nichts geändert.
Schiffe verschmutzen nicht nur das Wasser, sondern auch die Luft …
Ja. Ich lebe seit 30 Jahren in Venedig und ich habe mich am Anfang gewundert, warum die Hausfassaden der Palazzi so schwarz sind. Die sind so schwarz, weil der Schiffsdiesel viel zerstörerischer ist als normale Autoabgase. Es wurde nachgewiesen, dass die Luftverschmutzung in Venedig der von Peking gleicht. Und das wird nicht nur von den Kreuzfahrtschiffen ausgelöst, sondern auch vom normalen Schiffsverkehr, also Ausflugsschiffe, Vaporetti und so weiter.
Das Gespräch führte Reena Thelly.