Am 5. Mai feiert Karl Marx seinen 200. Geburtstag. Zu diesem Anlass türmen sich in den Buchhandlungen Marx-Biographien, Marx-Exegesen und sogar Marx-Comics. SP-Nationalrat Cédric Wermuth legt gemeinsam mit dem politischen Autor Beat Ringger noch einen Marx-Band obendrauf.
SRF: Warum braucht es Ihr Buch?
Cédric Wermuth: Uns interessiert, was kritische Persönlichkeiten wie Regula Rytz, Ueli Mäder oder Tamara Funiciello zu Marx und zu seiner Aktualität zu sagen haben. Spätestens seit der Finanzkrise ist ja klar, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sein kann. Und klar – der Geburtstag bietet einen guten Anlass.
Nach der Finanzkrise von 2007 wurde Marx wieder populär. Ich erinnere mich an einen Artikel des Ökonomen Nouriel Roubini, der das US-Finanzministerium beraten hat. In der Financial Post schrieb er: «Marx was right».
Marx hat recht damit, dass der Kapitalismus aus sich selbst heraus immer neue Krisen erzeugt. Das ist aber nicht nur eine ökonomische Frage, auch wenn vor allem auf Marx’ Hauptwerk «Das Kapital» Bezug genommen wird. Wir fanden, dass zu Marx weitaus mehr zu sagen wäre.
Man kann die Geschichte des Marxismus nicht ohne die Katastrophe des Stalinismus diskutieren.
Marx wurde mit der Finanzkrise wieder populär – geändert hat sich wenig. Wenn er etwas zu bieten hätte, hätte sich dann aufgrund der marxistischen Analysen nicht auch etwas ändern müssen?
Es braucht Zeit, bis aus dem Schock einer Krise etwas Konstruktives entsteht. 2008 war auch die Linke völlig überrumpelt. Allerdings muss ich eingestehen: Der Grossteil der linken Parteien hat es nicht geschafft, seither klare Alternativen zur Fortsetzung des Casinokapitalismus zu entwickeln und entschlossen dafür einzutreten.
Auf Marx beriefen sich auch Lenin und Stalin. Terry Eagleton schreibt in seinem Buch «Warum Marx recht hat», Marx die Schuld an Mao zu geben, sei ungefähr so, als würde man Jesus die Inquisition in die Schuhe schieben. Passt dieser Vergleich?
Der Vergleich trifft sogar ins Schwarze. Natürlich kann man gewisse Stellen bei Marx als Herrschaftslegitimation missbrauchen. Das kann man aber mit fast allen anderen Autorinnen oder Autoren auch.
Marx hat konsequent Freiheit und Emanzipation ins Zentrum gestellt. Er hat explizit jede Form eines «Kasernenkommunismus» abgelehnt. Dennoch kann man die Geschichte des Marxismus und der Linken nicht ohne die Katastrophe des Stalinismus oder Maoismus diskutieren. Diese Frage kommt in unserem Buch mehrmals zur Sprache.
Dennoch mag es erstaunen, dass Marx auch als Freiheitsdenker angepriesen wird.
Das war er aber! Marx ging es darum, dass wir uns von Herrschaftsverhältnissen emanzipieren können. Und darin ist er nach wie vor aktuell. Sicher muss man aktualisieren, wie sich zum Beispiel die Klassenverhältnisse entwickelt haben.
Aber die Kernproblematik des Kapitalismus ist geblieben: Dass er politische, soziale und ökonomische Ressourcen in wenigen Händen konzentriert, Menschen und die Natur ausbeutet und gewalttätige Konflikte anfeuert.
Das klingt immer so, als wären allein die Strukturen schuld…
Eigenverantwortung und Gesellschaftsstrukturen greifen stets ineinander. Wir haben uns aber angewöhnt, unsere Probleme viel zu schnell auf die Ebene des Privaten zu verlagern: Wenn wir mit dem Druck am Arbeitsplatz nicht klarkommen, gehen wir in die Therapie, schlucken Pillen, optimieren uns – statt mal zu fragen: Ist da nicht etwas faul an unserem kapitalistischen System?
Mit Marx gesprochen: Die Menschen machen ihre Geschichte vielleicht nicht unter frei gewählten Bedingungen, aber sie machen sie selber.
Grosse Veränderungen geschehen nur, wenn sich breite Teile der Bevölkerung direkt einmischen.
Was lässt sich von Marx für heutiges Politisieren nutzen?
Dass wir Alternativen zu einer Gesellschaft brauchen, in der die Profite der Grosskonzerne Dreh- und Angelpunkt sind. Und dass wir dabei nicht weiterkommen, wenn wir uns auf einen engen Parlamentarismus festschreiben lassen.
Was meinen Sie damit?
Gesellschaften werden nicht verändert, indem man im stillen Kämmerlein grossartige Idee entwirft und dann Resolutionen schreibt und Vorstösse einreicht.
Was ist Ihr Vorschlag?
Man muss die Kräfteverhältnisse ändern. Das hat etwas mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, zivilem Ungehorsam zu tun. Sicher – was Bundesbern entscheidet, hat Auswirkungen auf die Menschen. Aber grosse Veränderungen geschehen nur, wenn sich breite Teile der Bevölkerung direkt einmischen. Das hat Marx ganz richtig gesehen.
Das Gespräch führte Barbara Bleisch.