«Das wär’ doch was für dich!», sagt Carl Achleitners Frau Ann-Birgit Höller eines Tages am Frühstückstisch und schiebt ihrem Mann die Zeitung rüber. Dort ist ein Inserat, in dem eine gewisse Agentur Stockmeier in Wien Trauerredner sucht.
«Sicher nicht!», lautet Carl Achleitners klare Antwort, als er das Inserat sieht. Er ist Schauspieler – genauso wie seine Frau – und würde es auch bleiben. Lust, sich beruflich mit dem Tod auseinanderzusetzen, hat er schon gar nicht. Damit ist die Sache vom Tisch.
Bis zwei Tage später das Telefon klingelt. Achleitners Vater ist gestorben.
Geheuchelte Trauer und selbstsüchtige Redner
Die Trauerfeier, die kurz darauf in einem oberösterreichischen Dorf stattfindet, ist schlimm. Sie entspricht genau dem, was sich Carl Achleitner damals unter einer Trauerfeier vorstellt: geheuchelte Trauer, selbstsüchtige Redner und mittendrin eine Trauerfamilie, die nicht weiss, was mit ihr passiert.
Ausserdem ist da noch die Sache mit dem Vater, der für Carl Achleitner eben nicht der unfehlbare Mensch gewesen ist, als der er gerade dargestellt wird. Sondern der, der ihn über Jahre hinweg geschlagen hat.
Am Grab reicht es darum nur für ein: «Ich danke dir für alles, was gut war, und ich versuche dir zu verzeihen, was nicht gut war.»
Die Trauerfeier bringt den Stein ins Rollen. Zurück in Wien ruft Carl Achleitner bei der Agentur an und bewirbt sich als Trauerredner. Und bekommt den Job.
Mehr als 2500 Trauerreden in acht Jahren
Das ist nun acht Jahre her. Acht Jahre, in denen Carl Achleitner täglich zwei Trauerreden gehalten hat.
Acht Jahre, die nicht nur von der Auseinandersetzung mit dem Tod geprägt gewesen sind, sondern auch und vor allem mit dem Leben. Acht Jahre, die sein Leben und sein Denken komplett verändert haben.
Lehr- und Wanderjahre
Geboren wird Carl Achleitner 1963 in eben jenem oberösterreichischen Dorf: Grieskirchen. Bald geht er nach Linz, um dort eine Lehre als Koch und Kellner zu machen.
Linz kommt ihm wie eine Grossstadt vor. Befreiend. Und der Ort, an dem er arbeitet, wie das Paradies. Theaterleute treffen sich dort. Und bald schon will auch Carl zum Theater. Das gelingt. Mit 22 Jahren wird er an der Schauspiel-Akademie-Zürich aufgenommen.
Danach folgen Lehr- und Wanderjahre: Stückvertrag in Bregenz, Engagement in München. Schliesslich klappt’s in Wien. Filmangebote kommen dazu. Ein «Tatort» hier und ein «Kommissar Rex» dort, manchmal sogar eine Rolle in einem Kinofilm.
Das Denken hat sich geändert
Aber eine gewisse Angst ist immer da. Genüge ich als Schauspieler? Kann ich meine Familie ernähren? Kann ich auf diese Weise alt werden, wenn ich mich von Angebot zu Angebot hangle? In dieser Situation passiert die Sache mit dem Inserat.
Jetzt ist Carl Achleitner Trauerredner. Sein Denken hat sich von Grund auf geändert.
Die Toten, die er verabschiedet, sind seine Lehrmeister. Sie führen ihm vor Augen, wie kurz das Leben ist. Wie sinnlos es ist, seine Zeit mit Angst zu vergeuden. Und wie wichtig, sich auf das zu konzentrieren, was zählt.
Lieben und loslassen
Die Liebe. Spricht man Carl Achleitner heute darauf an, sagt er, das Wichtigste im Leben seien die Spuren der Liebe, die wir in den Herzen anderer Menschen hinterlassen, bevor wir gehen. Darauf baut er seine Reden auf. Genauso wie sein Leben.
Und noch etwas hat er gelernt: Dass man loslassen kann. Auch die Geschichte mit dem prügelnden Vater. Klären konnte er das nicht mehr, zu plötzlich ist der Vater gestorben. Aber verzeihen schon. Wenn es auch Jahre gedauert und einiges an Überwindung gebraucht hat.
Somit ist Carl Achleitner am Ziel seiner Wünsche. Dahinter aber steckt Carl Achleitners Frau. Ann-Birgit Höller, die damals dieses Inserat über den Tisch geschoben hat. Offenbar hat das Inserat den Weg zurückgefunden. Denn Ann-Birgit Höller arbeitet heute ebenfalls als Trauerrednerin.