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Debatte um «Klaasohm» Alte Bräuche, neue Fragen: Ist Prügeln mit Kuhhörnern erlaubt?

Ein krasser Nikolaus-Brauch auf Borkum schlägt in Deutschland Wellen: Alte Bräuche werfen Fragen zur Frauenfeindlichkeit auf, auch in der Schweiz.

Worum geht es? Ein Reporterteam des Norddeutschen Rundfunks (NDR) berichtete über einen alten, geheimnisumwobenen Brauch auf der Nordseeinsel Borkum: «Klaasohm». Die Recherche ging viral. Sie zeigt, wie sich jeweils am 5. Dezember – ein Tag vor unserem Samichlaustag – sieben auserlesene Männer des Vereins «Borkumer Jungens» als bedrohliche Fabelwesen verkleiden. Sie laufen durch die Strassen, feiern, lassen junge Frauen einfangen und schlagen diese mit Kuhhörnern auf den Hintern. Es folgte eine Welle der Empörung. Als Reaktion auf den Shitstorm in den sozialen Medien liess der Verein verlauten, am «Klaasohm»-Fest künftig keine Frauen mehr zu schlagen. Dagegen regte sich wiederum Widerstand.

Woher kommt dieser Brauch? «Klaasohm» ist eine Variante des Nikolaus-Brauchs, erklärt Mischa Gallati, Kulturwissenschaftler an der Universität Zürich. Von Anfang Dezember bis zur Fasnacht tauchen diese Bräuche in weiten Teilen Europas immer wieder auf. Bereits im Mittelalter gab es Nikolausfiguren, basierend auf Legenden des heiligen Nikolaus von Myra. In der Tradition habe er häufig zwei Gesichter, so Gallati. Einerseits die nette Figur, die Kinder beschenkt. Andererseits der Strafende, Teuflische. In der Schweiz wurde aus der bösen Figur der Schmutzli, in Österreich der Krampus. Auf der ostfriesischen Insel Borkum schien sich der gewalttätige Nikolaus erhalten zu haben. 

Zwei Personen in Nikolaus- und Bischofskleidung vor schneebedecktem See.
Legende: Während der Nikolaus oder Samichlaus die braven Kinder beschenkt, werden die unartigen vom Schmutzli oder Krampus bestraft. KEYSTONE/Urs Flueeler

Gibt es ähnliche Bräuche in der Schweiz? Varianten solcher Bräuche sind weit verbreitet – auch in der Schweiz. Hierzulande berühmt sind etwa die «Tschäggättä» im Lötschental oder die «Pschuuri» im bündnerischen Splügen. Auch dort ziehen Männer als angsteinflössend verkleidete Gestalten an der Fasnacht los. Sie jagen Kinder und Frauen, um ihre Gesichter mit Schnee einzureiben oder mit Russ zu schwärzen.

Wieso richten sich Bräuche häufig gegen Frauen? Bräuche spiegeln unsere Gesellschaft. Junge, ledige Frauen sind in unserer Gesellschaft am meisten Gewalt ausgesetzt, erklärt Mischa Gallati. Es gehe um Macht. Wer hat das Sagen? Wer jagt und wer wird gejagt? Wenn Diskriminierung weiterhin Bestandteil der Gesellschaft ist, wird sie auch in Bräuchen repliziert, resümiert Gallati.

Lassen sich überholte Bräuche wie «Klaasohm» reformieren, sollten sie gar abgeschafft werden? Bräuche sind nicht festgeschrieben. Sie wandelten sich dauernd, betont Kulturwissenschaftler Gallati. Dass die Borkumer Tradition vielen nun aufstösst, zeigt, dass gesellschaftlicher Wandel stattfindet. Verbote von aussen bringen wenig. Umso wichtiger sei das Hinterfragen von Traditionen, nur so blieben sie lebendig.

Warum wird die Debatte um Klaasohm so hitzig geführt? Die Schwierigkeit besteht darin, dass sich nicht alle einig sind, was geht und was eben nicht mehr. Bräuche können Identität stiften. Aber auch bestimmte Gruppen ausschliessen. Gewalt sei häufig Teil von Brauchtum, so Gallati. Wer mit Hörnern auf Hintern schlägt, hat womöglich keine bösen Absichten, aber es tut trotzdem weh und setzt herab. Dennoch wäre es zu vereinfacht, von bösen oder guten Bräuchen zu sprechen. Menschen – auch Frauen – in Borkum gehen für den Erhalt von «Klaasohm» auf die Strasse. Was das in erster Linie zeigt, ist, dass es Diskussionsbedarf gibt: Was wollen wir sein als Gesellschaft? Es geht auch um Brauchtum. Vornehmlich aber geht es um Zugang zu gesellschaftlichen Machtpositionen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 2.12.2024, 16:30 Uhr.

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