Kinder vor der Türe, die Süsses wollen – Kürbisse in den Vorgärten: Halloween wird längst auch bei uns gefeiert. Dass sich der amerikanische Brauch in der Schweiz etablierte, zeigt die Wandelbarkeit aller Bräuche, sagt der Kulturwissenschaftler Konrad Kuhn.
SRF: Warum fasst Halloween bei uns immer mehr Fuss?
Konrad Kuhn: Halloween entspricht dem Bedürfnis nach einem durch Höhepunkte gestalteten Jahresablauf. Einem Bedürfnis nach Spass und Unterhaltung und nach einer spielerischen Überschreitung des Alltags. Es ist überdies ein unverbindlicher Brauch. Man kann ihn feiern – oder auch nicht. Gerade dadurch ist Halloween sehr anschlussfähig an unsere Gesellschaft.
Wie kam der Kulturtransfer von den USA in die Schweiz zustande?
Halloween spielt in den USA eine wichtige Rolle und ist in der Populärkultur stark verankert. In Steven Spielbergs Film «E.T.» wurde Halloween zum ersten Mal in einem Film gezeigt. Seither wurde uns der Brauch vor allem über Horrorfilme bekannt gemacht.
Die Grossverteiler in der Schweiz haben den Halloween-Boom befeuert und mitgestaltet.
Die Medien spielen eine Rolle, aber auch die Kulturindustrie: Ökonomische Akteure sind auf Halloween angesprungen. Die Grossverteiler in der Schweiz haben den Halloween-Boom befeuert und mitgestaltet.
Hat der Boom auch etwas mit der Globalisierung zu tun?
Wir wissen, dass Expats in der Deutschschweiz schon in den 1990er-Jahren Halloween-Partys feierten. Eine Breitenwirkung entfalten solche Expat-Partys aber nicht unbedingt. Aber Halloween verbindet sich auch mit Elementen, die uns schon bekannt sind, etwa mit Lichterbräuchen im Herbst oder Kinderfesten mit Streichen – denken Sie an den Schulsilvester.
Was hat Halloween mit uns zu tun? Der Brauch ist weder bei uns verankert noch hier gewachsen.
Wir sind heute hochmobil. Wissensstände zirkulieren global. Warum sollen also ausgerechnet Bräuche und Traditionen nur regional oder lokal funktionieren?
Kennen Sie einen Brauch, von dem wir fälschlicherweise denken: Der ist regional tief verwurzelt bei uns?
Als Kulturwissenschaftler sprechen wir von «invention of tradition» – der «Erfindung von Tradition». Alle Traditionen, alle Bräuche sind irgendwann entstanden. Ein gutes Beispiel sind die «Räbeliechtliumzüge». Die sind mitnichten uralt, sondern eine Erfindung aus den 1930er- und 1940er-Jahren. Damals versuchten die Lehrer und Quartiervereine einen Volksbrauch zu etablieren – sehr erfolgreich.
Neue Bräuche geben uns die Möglichkeit, über Fragen zu verhandeln, woher unsere Kultur stammt.
Fasnachtsbräuche hingegen gehen historisch weiter zurück. Aber auch die verändern sich konstant. Da steckt viel Dynamik drin, die oft übersehen wird.
Wie erklären Sie sich die teils sehr emotionale Kritik, die jeweils aufflammt, wenn ein neuer Brauch wie Halloween buchstäblich vor der Tür steht?
Die Kritik ist eine Reaktion auf eine wahrgenommene Beschleunigung. Auf eine Welt, die sich stark verändert. Neue Bräuche geben uns aber auch die Möglichkeit, über Fragen zu verhandeln, woher unsere Kultur eigentlich stammt.
Die Kritik bezieht sich aber auch auf die ökonomische Ordnung. Halloween sei ein Kommerzbrauch, heisst es – ein Brauch ohne inhaltlichen Sinn. Da wird das Unbehagen an einer starken ökonomischen Macht artikuliert.
Ist die Kritik berechtigt?
Als Kulturwissenschaftler beobachten wir, stellen fest und verurteilen wenig. Halloween ist für uns nicht ein amerikanischer Kommerzbrauch, sondern ein hochdynamisches Element, das neu hinzukommt. Ein Element, das die Wandelbarkeit aller Bräuche wunderbar zeigt. Halloween, das haben die letzten Jahre bewiesen, ist nicht einfach nur ein Strohfeuer.
Das Gespräch führte Sarah Herwig.