Bei seiner Amtseinführung im Januar 1961 galt der 44-jährige Kennedy als Hoffnungsträger. Mit seiner Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten hatte er dem organisierten Verbrechen den Kampf angesagt und versprochen, die US-amerikanischen GIs aus Vietnam abzuziehen. Mit seiner Formel vom «Aufbruch zu neuen Grenzen» traf Kennedy den Kern amerikanischer Identität.
Sein jugendlicher Charme und seine mitreissende Rhetorik standen im Kontrast zur Stagnation der Eisenhower-Jahre. Auf Kennedys politischer Agenda standen die Gleichberechtigung der Schwarzen, der Kampf gegen Armut, Gesundheitsreformen und das Recht auf Bildung.
Mehr Hollywood als Harvard
Sein Appell an den Idealismus beeindruckte vor allem die jüngere Generation: «Fragt nicht, was Euer Land für Euch tun kann, fragt, was Ihr für Euer Land tun könnt», hatte der jüngste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten bei seinem Amtsantritt den US-Bürgern zugerufen. Mit Charisma zog er die Menschen in seinen Bann.
Sein Berlin-Engagement, sein Verhalten während der Kuba-Krise – all das passte in das Bild vom grossen Staatsmann. Und er stand für perfektes Politmarketing: «Kennedy war jemand, der eher in Hollywood als in Harvard gemacht wurde», resümiert der Amerikanist und ehemalige Leiter des deutschen historischen Instituts in Washington Christof Mauch.
Doch der Mythos vom tadellosen Staatenlenker verschleierte eine andere Wahrheit, etwa die intensiven Kontakte des Kennedy-Clans zur Mafia. Und entgegen seinem liberalen Image hatte Kennedy zur Kommunisten- und Liberalen-Hatz in der McCarthy-Ära geschwiegen. In seine Amtszeit fielen die gescheiterte Schweinebucht-Invasion und das aktive Eingreifen der USA in den Vietnam-Krieg: «Das ist damals von den meisten Beobachtern vollkommen ausgeblendet worden», so der Politologe Iring Fetscher.
Gerade in Vietnam wollte Kennnedy die revolutionäre Bestimmung Amerikas und dessen Kraft zur Bändigung des Kommunismus militärisch unter Beweis stellen. Das schreibt Alan Posner in seiner gerade erschienen Kennedy-Biographie. Der britisch-deutsche Journalist geht sogar so weit und erklärt den Porträtierten zur am «meisten überschätzten Gestalt der amerikanischen Geschichte».
Kennedy, die Projektionsfläche
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Was Historiker und Journalisten in den letzten Jahren interessierte, ist weniger Kennedys tragischer Tod als vielmehr seine Verdienste als US-Präsident. Zu diesem Schluss kommt der Historiker Robert Dallek. Hätten die Schüsse von Dallas nicht Kennedys Amtszeit abrupt beendet, dann wären in den letzten fünf Jahrzehnten die politischen Weichen der USA anders gestellt worden, so die These des Kennedy-Biografen.
Dann hätte es keinen eskalierenden Rüstungswettlauf gegeben, keine politische Gewalt gegen Politiker, Bürgerrechtler und studentische Aktivisten in den Vereinigten Staaten, keine brennenden Ghettos in US-Städten. Stattdessen Rassenaussöhnung, Entspannungspolitik weltweit und fairer Umgang mit den weniger entwickelten Ländern der Welt. Kennedys unvollendetes Leben ist eine Projektionsfläche für eine Geschichte, wie man sie gern gehabt hätte.
Das ist Wasser auf die Mühlen von Demokraten und Liberalen. Kennedy werde so zur Lichtgestalt – nicht nur für US-Amerikaner, sagt Christof Mauch: «Kennedy war einer, der das Image vom Progressiven ausgestrahlt hat.» Gleichzeitig habe vieles, was die Menschen heute mit der Person Kennedys verbinden nichts mit der Realität der 1960er-Jahre zu tun. «Kennedy ist längst zum Mythos geworden», so Mauch.
Intrige, Lüge und Betrug
Hinter der glanzvollen Fassade des Kennedy-Clans verbargen sich Machtgier, Missgunst, Intrige, Lüge und sexueller Betrug. Vor allem bei Vater Joseph, einem Patriarchen, erfolgreichen Bankier und geschickten Finanzier, der mit fragwürdigen Geschäften an der Börse vermögend geworden war. Doch der Mythos ist anscheinend resistent gegen Wissen.
Das Publikum in aller Welt will an Kennedys Versprechen einer besseren Welt festhalten. Schon zu Beginn seiner politischen Karriere umgab sich Kennedy mit einer Biographie voller Stilisierungen: seine Heldentaten im Zweiten Weltkrieg, seine intellektuellen Lorbeeren als Buchautor, das glückliche Familienleben im Hause seiner Eltern – all das sind Teile eines sorgsam aufgebauten Bildes, das man der Öffentlichkeit präsentierte. Mit der Wirklichkeit hatte das nur wenig zu tun. Seine Frauen-Geschichten sind Legende.
Gebrechlich wie ein alter Mann
Ein Foto, das vom Weissen Haus aus dem Verkehr gezogen und zensiert wurde, zeigt eine andere Wahrheit: John F. Kennedy auf dem Rollfeld neben der Air Force One. Stocksteif steht der Präsident in einem Metallcontainer, der von einem Kran angehoben wird. Kennedy war nicht in der Lage, über die Gangway das Flugzeug zu betreten.
Das Foto passt so gar nicht in das Bild vom strahlenden, jugendlichen Präsidenten. Dass er in Wahrheit schwerst krank war, das durfte auch lange Zeit nach seinem Tod niemand erfahren. Historiker Dalleck bekam als erster die Genehmigung, die Krankenakte des 46-jährigen Präsidenten einzusehen. Sie habe sich wie die eines gebrechlichen 70-jährigen Mannes gelesen, so Historiker Dallek.
In der Öffentlichkeit spielte er den dynamischen Helden, hinter den Kulissen jedoch ging er oft an Krücken, nahm Cocktails aus Schmerzmitteln und Stimmungsaufhellern zu sich. Heutzutage, wo selbst die Cholesterinwerte des Präsidenten veröffentlicht werden, hätte Kennedy keine Chance, seinen Gesundheitszustand zu verheimlichen. Beängstigend bleibt im Rückblick, dass ein derart kranker Präsident den Finger am atomaren Abzug hatte.