Es war ein denkwürdiger Moment, als die Theologin Rosa Gutknecht am 3. August 1919 im Zürcher Grossmünster vor die versammelte Gemeinde trat. Sie war die erste Frau, die im altehrwürdigen Gotteshaus eine Predigt hielt – 400 Jahre nachdem hier Huldrych Zwingli seine Antrittspredigt gehalten und Zürich reformiert hatte.
Ordiniert, aber nicht für voll genommen
Rosa Gutknecht und ihre Kollegin Elise Pfister waren 1918 ordiniert worden. Doch eine vollwertige Pfarrstelle traute man ihnen nicht zu: Sie wurden lediglich als «Pfarrhelferinnen» eingestellt, zu einem viel tieferen Lohn als ein Pfarrer.
De facto führten sie zwar alle kirchlichen Handlungen aus, doch formal durften sie dies jeweils nur in Stellvertretung eines männlichen Kollegen tun. In anderen Kantonen ging es den ersten Theologinnen, die von der Universität kamen, nicht besser: Sie waren, wenn überhaupt, zu Hilfsdiensten zugelassen – so lange sie den Männern keine Konkurrenz machten.
«Objektivität ist nicht die Stärke der Frau»
In den 1920er- und 1930er-Jahren wurden in den Schweizer Zeitungen heftige Debatten über das Frauenpfarramt geführt. «Nach evangelischer Auffassung soll die Predigt die Verkündigung des Wortes Gottes sein, also einer objektiven Grösse. Nun ist aber gerade die Objektivität nicht die Stärke der Frau», schrieb etwa ein Pfarrer in der Neuen Bündner Zeitung im Jahr 1927.
Seine Meinung teilten damals viele, nicht nur in Graubünden. Umso erstaunlicher, dass wenige Jahre später, 1931, das Bergdorf Furna im Prättigau anstelle eines Pfarrers eine Pfarrerin wählte.
Da schritten die Behörden ein
Furna war die erste Gemeinde Europas, die einer Frau ein volles Gemeindepfarramt anvertraute. Hintergrund war der Pfarrermangel, der es für das abgelegene Bauerndorf schwer machte, einen Pfarrer zu finden. Greti Caprez-Roffler hiess die Theologin.
Sie war gerade mal 25 Jahre jung und hatte soeben ihr Theologiestudium abgeschlossen. In Graubünden und weit über den Kanton hinaus war das Entsetzen gross. Die kantonalen kirchlichen Behörden beschlagnahmten daraufhin das Kirchgemeindevermögen – für das arme Bergdorf ein drastischer Schritt.
«Nicht mutig, sondern naiv»
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Erst 1956 liess Basel-Stadt als erster Kanton Frauen zum vollen Pfarramt zu. Nach und nach folgten die anderen Kantone. Die heute 91-jährige Leni Altwegg gehörte Mitte der 1960er-Jahre zu den ersten Pfarrerinnen, die im Kanton Zürich direkt ab Studium ordiniert wurden.
Sie erinnert sich noch an die frauenfeindlichen Witze an der Universität, und daran, dass die ersten Konfirmanden nur sehr widerwillig zu ihr in den Unterricht kamen. Auch in den 1960er- und 1970er-Jahren mussten Pfarrerinnen demnach noch ein dickes Fell haben.
Mutig habe sie sich aber nie gefühlt, sagt Leni Altwegg: «Ich bin überhaupt nicht mutig, ich bin naiv. Für mich ist Gerechtigkeit einfach logisch. Ich begreife nicht, dass man das nicht einsieht. Immer noch nicht!»