Am 8. Mai 1945 feiern die Menschen das Kriegsende in Europa. Der blutigste Konflikt der Geschichte hatte seit 1939 auch die Schweiz in Atem gehalten. Dementsprechend gross ist auch hier die Erleichterung.
Zeitzeuge Eduard Nigg erzählt, wie im Bauerndorf Mastrils aufgeatmet wurde. «Die Mütter, Kinder und Grosseltern, die die Landwirtschaft bewältigen mussten, wussten: Jetzt kommen unsere Angehörigen zurück. Die Freude war unglaublich gross.»
Im ganzen Land läuten an diesem Freudentag die Kirchenglocken. Menschen jubeln auf der Strasse, und Bundespräsident Eduard von Steiger hält am Radio fest: «Mitten in einem Europa, dessen Gestaltung für uns noch im Dunkeln liegt, soll die Schweiz ein Beispiel dafür sein, dass auch ein kleines Land helfen und grossmütig sein kann.»
Schritt für Schritt geht es danach zurück zur Normalität. Die Rationierung wird in der Schweiz bis 1948 in Etappen aufgehoben. Der Wirtschaftsmotor brummt schon kurz nach dem Krieg wieder. Es sind die Anfänge einer nie dagewesenen Hochkonjunktur. Der Export wichtiger Güter ins kriegsversehrte Europa floriert, ebenso der Import.
Gastarbeiter aus Italien
Bereits 1946 wundern sich ein Journalist der Radiosendung «Echo der Zeit» und der damalige Zürcher Regierungsrat Josef Henggeler darüber, dass entgegen aller Befürchtungen bereits wieder Vollbeschäftigung, gar ein Mangel an einheimischen Arbeitskräften herrscht. Schon bald holt man Gastarbeiter in die Schweiz, zu Beginn vorwiegend aus Italien.
Zeitzeugin Susi Birchler erlebte 1950, wie die ersten Gastarbeiter nach Einsiedeln kamen. Ein Kunde sei jeweils mit mehreren jungen Italienern in ihre Bäckerei gekommen. «Zuerst dachten wir, die sind vom anderen Ufer. Aber dann brachten sie nach und nach ihre Frauen mit.»
Die Nachkriegszeit bringt punkto Freizeitaktivitäten neue Möglichkeiten. Die Verdunklung ist aufgehoben, sodass das kulturelle Leben wieder in Schwung kommt.
Zeitzeugin Hedi Hnilicka berichtet davon, wie sie im Zürcher Stadttheater mit anderen Jugendlichen auf dem sogenannten Flöhboden, hoch oben auf den schlechtesten Plätzen, für erschwingliche zwei Franken Opern und Operetten genoss. Und wie sie ein Bekannter aus der Berufsschule in die Tonhalle hineinschmuggelte. «Ich gab ihm Schokolade und Confiserie-Coupons – und er stellte mir einen Stuhl an den Rand.»
Auch für Sportbegeisterte wird das Angebot ausgebaut. Wintersportorte trumpfen mit neuen Ski- und Sesselliften auf, die Hotels rüsten sich für einheimische und vor allem ausländische Touristen. Und tatsächlich nimmt der Fremdenverkehr nach dem Krieg rasch zu.
Schwere Zeiten für frisch Verliebte
Nicht viel ändert sich dagegen beim Thema Ehe. In den allermeisten Kantonen gibt es ein Konkubinatsverbot. Wer mit seinem Schatz unter einem Dach leben will, muss also heiraten – sonst drohen Busse, polizeiliche Trennung oder gar Haft.
Edi Nigg erzählt, dass er vor der Ehe mit seiner späteren Frau ein paar Ferientage am Thunersee genoss. Zusammen im Hotel übernachten war jedoch undenkbar: «Vom Hotel vorgeschrieben mussten wir zwei Einzelzimmer nehmen. Das wurde sogar kontrolliert.»
Hedi Hnilicka wiederum erinnert sich, wie ihre Schwester ihren Verlobten überstürzt heiraten musste, damit sie in die Wohnung hinter der neu übernommenen Konditorei ziehen konnten. «Sonst hätte es ihr morgens zeitlich nicht in den Laden gereicht. So mussten sie am 28. Dezember heiraten, damit sie am 1. Januar den Laden eröffnen konnten.» Die Nachbarn hätten spekuliert, ob sie wohl schwanger sei, so überstürzt sei es geschehen.
Babyboom in den Nachkriegsjahren
So manch ein Pärchen heiratet aber tatsächlich, weil ein Kind unterwegs ist. Gut möglich, dass diese Kinder trotz Verhütung entstanden sind. Denn die damals beliebte Knaus-Ogino-Methode – die Ermittlung der unfruchtbaren Tage durch einen Menstruationskalender – wird zwar 1951 von Papst Pius XII. als einzig tolerierbarer Weg der Verhütung abgesegnet, gilt jedoch als höchst unzuverlässig. Daher erhält sie auch den Spitznamen «Vatikanisches Roulette».
Nicht bloss wegen der begrenzten Verhütungsmöglichkeiten erlebt die Schweiz in den Nachkriegsjahren einen wahren Babyboom. Da die Sterblichkeit gleichzeitig zurückgeht, steigt die Bevölkerungszahl stark an. Ein Trend, der sich gegen Ende der 1950er-Jahre durch die Einwanderung noch verstärkt.
Waschmaschine für die Frau ...
Die Nachkriegszeit bringt für die Menschen in der Schweiz auch mehr Komfort. Werbungen für allerlei Haushaltsgeräte versprechen weniger Aufwand. In immer mehr Küchen brummt ein kleiner Kühlschrank, und die automatische Waschmaschine tritt ihren Siegeszug an.
Wobei die drei Zeitzeugen noch länger auf den Komfort einer Waschmaschine verzichten müssen. «Jeden Montag kam Rösli aus Trachslau zum Waschen», erzählt Susi Birchler. Die Wäsche wurde am Vorabend eingeweicht und dann mühevoll von Hand gewaschen.
Auch Hedi Hnilicka wusch regelmässig von Hand auf dem Dachboden, nur schon, weil man in ihrem Mehrfamilienhaus nur alle sechs Wochen die Waschküche benutzen durfte. «Das dauerte etwa zwei Tage, bis alles erledigt war.» Das Dorf von Edi Nigg bekommt erst 1953 einen Anschluss an die Wasserversorgung – davor holte man das Wasser beim Brunnen.
... Auto für den Mann
Während sich die Frauen über die Unterstützung von Haushaltsgeräten freuen, leisten sich die Männer ein Auto. Die Statistik der in Verkehr gesetzten neuen Personenwagen explodiert von 6579 Autos im Jahr 1946 auf 56'345 im Jahr 1956. Dies verändert natürlich auch die Situation auf den Strassen.
In einer Fernsehumfrage von 1958 fordert eine Mehrheit der Automobilisten dringend einen Ausbau des Strassennetzes und sehnt die Fertigstellung von richtigen Autobahnen herbei. Es braucht jedoch noch einige Jahre Geduld. Erst in den 1960er-Jahren geht es vorwärts mit dem Schweizer Nationalstrassennetz.
Frauenstimmrecht muss warten
In den Nachkriegsjahren wächst in der Schweiz also die Bevölkerungs- und Autozahl, Waschmaschinen und Kühlschränke halten Einzug in die Haushalte. Wenig ändert sich dagegen punkto Ehe und auch punkto Frauenrechte. 1959 scheitert die erste Volksabstimmung über das eidgenössische Frauenstimmrecht deutlich an der Urne.