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Illustration: Ein Mann mit einer Sprechblase, die von einer Nadel zerstochen wird.
Legende: Die Redefreiheit ist ein zartes Pflänzchen – und die Voraussetzung für kritischen Journalismus. Getty Images

Düstere Diagnose Die Pressefreiheit ist bedroht – auch bei uns

Konzentration, Kontrolle, Kommerz: Die Pressefreiheit scheint arg unter Druck. Immer mehr auch in Staaten, die sich als Demokratien verstehen.

Zoomt man auf der aktuellen Weltkarte zur Pressefreiheit von «Reporter ohne Grenzen» auf Europa, fällt auf: Im Westen herrschen die Farben weiss («gute Lage») und gelb («zufriedenstellende Lage») vor. Im Osten dagegen ist die Karte vielerorts orange («erkennbare Probleme») und rot («schwierige Lage») gefärbt.

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49 Staaten, Versuch eines Überblicks
aus Kontext vom 02.07.2018. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 13 Minuten 26 Sekunden.

Die Medienfreiheit zählt zu den Grundwerten freiheitlicher Staaten. Denn vielfältige, unabhängige Medien tragen zur Meinungsbildung bei.

In Autokratien und Diktaturen, aber auch in Demokratien, die sich in eine autoritärere Richtung entwickeln, geraten Journalistinnen und Journalisten besonders unter Druck. Sei es wegen staatlicher Einschränkungen – oder weil in der Gesellschaft medienfeindliche Stimmen laut werden. Mancherorts landen kritische Geister im Gefängnis, sie werden angegriffen oder umgebracht.

Grundrechte in Gefahr

Die Karte von «Reporter ohne Grenzen» zur Pressefreiheit spiegelt, wie es Staaten mit den Grundrechten halten. «In einer Diktatur wie Weissrussland gibt es keine Medienfreiheit.

Länder wie Russland und die Türkei schränken die Medien ebenfalls ein, genauso wie die Tätigkeit unbequemer NGOs oder die Wissenschaftsfreiheit», sagt Manuel Puppis, Professor für Mediensysteme und Struktur der Medien in Freiburg im Üechtland.

Ein Mann mit grauem Haar und Bart vor einem Büchergestell.
Legende: Warnt vor dem Einfluss einseitiger PR: Medienwissenschaftler Manuel Puppis. ZVG

In solchen Ländern, so Puppis, müsse man damit rechnen, «dass Journalisten ermordet und Medien geschlossen werden, dass Zensur herrscht und Medien im Besitz des Staats oder von Oligarchen sind, die mit der Regierung verbandelt sind.»

Puppis weist auch auf demokratische Staaten hin, die sich in eine autoritärere Richtung entwickeln: «Auf dem Westbalkan, aber auch in Polen, Ungarn wurde die Medienfreiheit in den letzten Jahren massiv eingeschränkt.»

In Polen und Ungarn wurde die Leitung des öffentlichen Rundfunks mit regierungstreuen Gefolgsleuten neu besetzt, missliebige Journalisten wurden entlassen.

Paradies Westeuropa?

In Westeuropa sieht Medienwissenschaftler Puppis ähnliche Tendenzen: «Politische Parteien, teilweise mit Regierungsbeteiligung, äussern sich sehr kritisch über Medien. Das Stichwort ‹Lügenpresse› spielte ja im deutschen Wahlkampf immer wieder eine Rolle.»

Zum politischen Druck kämen kommerzielle Abhängigkeiten, so Manuel Puppis. Die Medienkrise erschwere die Finanzierung des Journalismus, was die Pressefreiheit auch beeinträchtige.

Auf aufwändige Recherchen werde bisweilen verzichtet, Programme würden stärker auf die werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen ausgerichtet.

Weil die Werbung zum Teil ins Internet abwandern, schwinden die Ressourcen der traditionellen Medienhäuser. Weil die Zeit fehle, um Informationen zu überprüfen, nehme der Einfluss einseitiger PR zu. «Die Abhängigkeit von offiziellen Verlautbarungen wächst», stellt Manuel Puppis fest.

Und die Medienfreiheit in der Schweiz?

Ähnliches bemerkt auch Nina Fargahi, Chefredaktorin des Schweizer Medienmagazins «Edito». «Wer kritische Geschichten recherchiert, läuft oft auf. Entweder an Pressestellen, PR-Beratern oder an Behörden.

Verwaltungsstellen spielen auf Zeit und hoffen, dass Anfragen versanden. Oder es gab den Fall des Bundesamts für Landwirtschaft, das vom ‹Beobachter› für eine Anfrage Gebühren von 275'000 Franken verlangte.»

Porträt einer jungen Frau mit schwarzem Haar.
Legende: «Die Medienvielfalt in der Schweiz schrumpft», sagt «Edito»-Chefredaktorin Nina Fargahi. Edito

Bei manchen Gemeindeversammlungen hätten in Graubünden Journalisten keinen Zutritt. Und Fargahi erwähnt, dass etwa die Kantone Luzern, Obwalden und Nidwalden kein Öffentlichkeitsgesetz haben: «Die Behörden können in eigener Kompetenz entscheiden, welche Dokumente sie zugänglich machen.»

Als Erschwernis für die journalistische Arbeit nennt sie das seit 2017 geltende Nachrichtendienstgesetz: «Es erlaubt schwere Eingriffe ins Redaktionssystem. Dabei gehört dieses zu den von der Verfassung garantierten Grundpfeilern der Pressefreiheit.»

Weniger Medien, weniger Vielfalt

Ein grosses Problem sieht Nina Fargahi in den Konzentrationsprozessen auf dem Medienmarkt, weil Redaktionen zusammengelegt oder Zeitungen wie «Il Giornale del Popolo» und «Le Matin» eingestellt werden: «Die Medienvielfalt in der Schweiz schrumpft. Damit werden die Möglichkeiten geringer, sich aus verschiedenen unabhängigen Quellen zu informieren.»

Das Risiko steige, dass überall dieselben Themen auftauchen, andere dagegen seien in den Schweizer Medien wenig vertreten, etwa «Geldwäsche, Steuerbetrug, Korruption, Behördenwillkür. Auch das neue Nachrichtendienstgesetz fand kaum Beachtung.»

Fazit: «Relativ gut»

Bei all den heiklen Entwicklungen auch in Westeuropa und in der Schweiz gilt es jedoch das Augenmass zu wahren: «Verglichen mit anderen Weltregionen sieht es in Europa relativ gut aus», sagt der Medienwissenschaftler Manuel Puppis. Doch «relativ gut» ist eben nur «relativ gut».

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