Alicia staunt nicht schlecht: Da macht ihr ein Mann auf Instagram Komplimente für ihr Outfit, das sie kurz davor im Ausgang getragen hatte. Sie waren offensichtlich am selben Anlass gewesen. Aber er hatte damals nicht den Mut gehabt, sie direkt anzusprechen.
Der Flirt verläuft einige Wochen via Chat. Dann findet Alicia, es sei an der Zeit, sich auch im realen Leben zu treffen. Die Begegnung verläuft vielversprechend: «Der Typ entsprach auch äusserlich meinen Vorstellungen.»
Lange Strandspaziergänge
Bald schon werden die beiden ein Paar. Sie besuchten sich mehrmals pro Woche. Er lebt an der Ostsee, sie unternehmen regelmässig lange Strandspaziergänge.
Oft kochen sie auch zusammen und führen lange, intensive Gespräche. «Er vertraute mir sehr persönliche Dinge an», erinnert sich Alicia heute. «Auch ich erzählte viel Privates aus meinem bisherigen Leben.»
Sie sei schon sehr verliebt gewesen, sagt Alicia: «Es gab so viel Gemeinsamkeiten». Endlich glaubt sie, den Richtigen gefunden zu haben und spielt schon mit dem Gedanken, in seine Stadt zu ziehen.
Keine Reaktion
Nach drei Monaten schlägt der Freund ein gemeinsames Wochenende in einem Ferienhaus der Familie an der Ostsee vor. Noch am Mittwoch fragt er sie per SMS, wo er sie am Freitagabend mit dem Auto abholen solle.
Sie nennt den Ort, bekommt aber keine Antwort. Auch als sie am Donnerstag per WhatsApp nachhakt, reagiert er nicht. Obwohl er ihre Nachricht offensichtlich gelesen hat.
Er lässt sie stehen
Alicia wartet am Freitagabend vergeblich. Der Freund taucht nicht auf. Er drückt ihre Anrufe weg, reagiert auf keine ihrer Nachrichten.
Alicia macht sich Sorgen. Sie fürchtet, ihm könnte etwas zugestossen sein. Dann sieht sie auf Instagram, dass ihr Liebster an jenem Wochenende sehr wohl ins Strandhaus gefahren ist.
Er hat fröhliche Fotos gepostet – von sich und seinen Freunden. Sie war dort offensichtlich nicht mehr willkommen.
Offene Fragen
Ein halbes Jahr ist seit diesem brutalen Abbruch verstrichen. Die Erfahrung hat Spuren hinterlassen.
«Ich habe mir den Kopf zermartert, was schiefgelaufen ist», sagt Alicia. Sie suchte den Fehler nur bei sich. Das Schlimmste sei das Gefühl gewesen, einfach ausgelöscht worden zu sein, «als hätte die Beziehung gar nie stattgefunden. Mein Selbstbewusstsein war ruiniert».
War sie zu vertrauensselig gewesen? Hätte sie skeptisch werden sollen, weil er sie nie in seinem Freundeskreis vorgestellt hatte? Fragen über Fragen.
«Ich bleibe Single»
Genau das macht «Ghosting» für Betroffene so schmerzhaft: Ohne eine direkte Aussprache haben sie keine Gelegenheit, die Gründe für die Trennung zu erfahren und die Angelegenheit abzuschliessen. Stattdessen bleiben sie in Ratlosigkeit und Selbstvorwürfen hängen.
Alicia hat von Männern vorderhand genug. Sie hat sich seither nie wieder auf ein Date eingelassen und will erst mal Single bleiben.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 4.3.2020, 09:02 Uhr.