Die Rivalität zwischen der Volksrepublik und dem Westen spitzt sich zu. Chinas Propaganda und Kontrolle im In- und Ausland verschärft sich. Auch China-Experte Ralph Weber geriet schon in die Schussline. Mit Yves Bossart spricht er über die Gefahr einer Eskalation, Propagandaarbeit und rote Linien.
SRF: Wie gross ist die Gefahr einer Eskalation zwischen China und dem Westen?
Ralph Weber: Die Gefahr ist grösser geworden. Es ist jedoch auch viel Rhetorik dabei. Wir haben es mit zwei Grossmächten zu tun, die sich auch wie Grossmächte aufführen. Ich glaube nicht, dass es im Interesse einer der beiden ist, die Lage tatsächlich eskalieren zu lassen.
Aber wir stecken in einem Dilemma: Auf der einen Seite gibt es eine ideologische Zuspitzung, die die politischen Differenzen akzentuiert. Auf der anderen Seite leben wir in einer sehr verschränkten Welt, in der man auf vielen Ebenen stark voneinander abhängig ist.
Findet momentan ein Umdenken statt – dass es viel wichtiger wird, mit welchen Staaten man interagiert und Geschäfte macht?
Ich denke ja. Nach dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation um die Jahrtausendwende wurde 15 Jahre lang einfach Handel miteinander betrieben. Das hat für beide Seiten gepasst. Nicht für diejenigen, die von China unterdrückt wurden, aber für Wirtschaftsakteure und Regierungen schon.
Mit dem zunehmend aggressiven Auftreten der Volksrepublik China hat sich die Dynamik nun geändert. Aber der Konflikt hat sich ideologisch eigentlich schon immer abgezeichnet.
Es gab zunächst eine erkennbare Öffnung des Landes. Warum kam es in den letzten zehn Jahren unter Staatspräsident Xi Jinping zu dieser starken Verhärtung?
Es mag von aussen so scheinen, als wäre mit Xi Jinping alles anders geworden. Das würde ich aber bestreiten. Die Öffnung war zwar für kurze Zeit real, aber schon 2004 sahen wir Verschärfungen und Verstärkungen seitens des Propagandadepartements.
Um die Partei stand es nicht gut – die Wirtschaft war fast mächtiger geworden als sie.
Als Xi Jinping 2012 an die Macht kam, hatte er die Aufgabe, die Partei wieder ins Zentrum aller Lebensbereiche zu stellen. Was er sehr erfolgreich tat. Denn um die Partei stand es nicht gut – die Wirtschaft war fast mächtiger geworden als sie.
Es ist wichtig zu wissen: Kommt es hart auf hart, wird die Partei immer sich selber wählen und die Wirtschaft und das Volkswohl opfern.
China hat eine eigene Propagandaeinheit für das Ausland – die «Chinesische Einheitsfront». Wie funktioniert diese Einheit?
Es handelt sich um eine bedeutende Einheit, die unter Xi Jinping noch grösser wurde. 2015 verdoppelte er sogar ihr Budget. Gewöhnlich hat Propaganda die Aufgabe, eine gute Geschichte von China in die Köpfe der Leute zu setzen.
Die Taktik der Einheitsfront geht auf Lenin zurück und besagt: Man muss ab und zu Allianzen mit Feinden schmieden, um noch grössere Feinde zu schlagen. Man versucht, alle, die nicht in der Partei sind, für sich zu gewinnen.
Xi Jinping spricht gerne vom «chinesischen Traum»: Das Land solle zu alter Grösse zurückfinden. Spielen bei solchen nostalgischen Grössenfantasien auch Kränkungen eine Rolle?
Eine grosse Rolle. Es geht um 100 Jahre Erniedrigung und Demütigung durch Grossbritannien, Japan oder die alliierten Mächte – von Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1949. Seither ist es das erklärte Ziel, wieder gross zu werden. Das ist auch in der Verfassung festgehalten.
Sie wurden selbst zur Zielscheibe des chinesischen Regimes. Grund war ihr Bericht über chinesische Einflussnahme im Ausland und in der Schweiz. Dürfen Sie heute überhaupt noch einreisen?
Ich weiss es nicht. Aber ich würde zurzeit gar nicht gehen wollen. Die Art Forschung, die ich betreibe, ist momentan nicht möglich und könnte auch Menschen gefährden.
Es war schon vorher ein schwieriges Spiel: Man kommt über Jahre immer näher an die Informationen – und bekommt so das Gefühl, mehr als alle anderen von China zu verstehen.
Man vereinnahmt, wen man kann und geht gegen die vor, die einem nicht wohlgesinnt sind.
Dabei merkt man nicht, dass man instrumentalisiert wird und diesen Zugang nicht wirklich bekommt – im Gegenteil: Die Kontaktpersonen gehen zurück zur Partei und berichten, was besprochen wurde. Das habe auch ich erlebt.
Was haben Sie in Ihrem Bericht konkret herausgefunden?
Zum Beispiel, wie die Chinesische Diaspora und ihre Vereinigungen in der Schweiz direkt unter Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas stehen. Wie politische und ökonomische Eliten die chinesische Propaganda wiederholen und sich einspannen lassen, wissentlich oder nicht.
Man sieht, wie systematisch die Schweiz bearbeitet wird. In der Botschaft sitzt zum Beispiel jemand, der für die Einheitsfrontarbeit hier zuständig ist. Auch in der Schweiz gilt: Man vereinnahmt, wen man kann und geht gegen die vor, die einem nicht wohlgesinnt sind.
Hatte das für Sie noch andere Konsequenzen?
Ich bekam Drohungen. Ich wusste jedoch, dass das passieren würde und habe mich entschieden, mich nicht darum zu kümmern. Ich glaube nicht, dass man nachgeben darf – gerade in einer solch privilegierten Situation.
Ich sehe es auch als Verpflichtung, diese Dinge ohne Furcht zu erforschen.
Als Professor einer Schweizer Universität bin ich unabhängig, habe weder Geschäftsinteressen noch familiäre Verbindungen in China. Ich sehe es auch als Verpflichtung, diese Dinge ohne Furcht zu erforschen.
Man hört von Umerziehungslagern für Uigurinnen und Uiguren in der Region Xinjiang, doch auch für die Presse ist es schwierig, Informationen zu bekommen. Was wissen wir überhaupt?
Es ist tatsächlich sehr schwierig sich ein Bild zu machen, da die Regionen praktisch nicht zugänglich sind. Aber wenn man Zeugenaussagen oder den UNO-Bericht anschaut, ist die Sachlage ziemlich klar.
Es werden systematisch Menschenrechtsverletzungen begangen, man versucht eine Ethnizität auszulöschen und ist knapp unter einem Genozid.
Von China hört man oft, dass auch andere Länder Menschenrechtsverletzungen begehen, gerade die USA ...
Das ist ein typischer Propagandapunkt von China. Natürlich gibt es Menschenrechtsproblematiken in den USA. Aber die USA gestehen dies ein. Der Zugang der Presse ist verhältnismässig gut und in intellektuellen Debatten ist es ein grosser Topos, die USA zu kritisieren. China hingegen lässt keine Kritik zu.
Sich vollständig von China zu entkoppeln, wäre gefährlich.
Wo soll man im Umgang mit China auf Dialog setzen, wo auf rote Linien?
Das ist die zentrale Frage – wie geht man konkret mit diesem Dilemma um? Man sollte rote Linien definieren. Sich vollständig von China zu entkoppeln, wäre aber gefährlich. Auch für die Leute im Land selbst, die unter dem Regime leiden. So weitermachen wie bisher geht auch nicht.
Wir brauchen kreative Ideen, wie wir uns gegen China behaupten können, ohne dabei unsere Werte zu unterminieren. Wenn wir beginnen, unsere eigenen Verfassungswerte zu untergraben, zum Beispiel um den Handel zu fördern, dann schwächen wir die liberale Demokratie.
Was bedeutet das für die Schweiz in Sachen Sanktionen gegen China?
Die Schweiz ist den EU-Sanktionen bezüglich Xinjiang noch nicht nachgekommen. Das ist vielleicht bezeichnend. Ich glaube, die Schweiz versucht einen pragmatischen Weg zu gehen. Es stellt sich die Frage, ob in einer Welt, die sich so zuspitzt, noch Platz dafür ist. Die Phase des gemütlichen Navigierens ist vorbei.