Der Videoclip zeigt ein paar junge Männer. Sie befinden sich in einer Toilette, rauchen offenbar einen Joint. Einer hantiert mit einem Brieflein mit weissem Pulver. Im Hintergrund hört man jemanden scherzhaft von Kokain reden.
Dieser Clip wird im November 2019 auf Facebook hochgeladen. Der User schreibt, es handle sich um Protestierende, die vor einer Demonstration illegale Drogen einnehmen. Womit er andeutet, die Gewalttätigkeit der Proteste sei auf Drogenkonsum zurückzuführen.
In den folgenden Tagen wird der Clip 250'000 mal angeklickt und mehrere Male geteilt. «Die Protestierenden haben jegliche Menschlichkeit verloren», und «Kein Wunder, sind die Randalierer derart geisteskrank!», sind Kommentare dazu.
Andere Zeit, anderer Ort
Eine Studierendengruppe an der Hong Kong University hat den Clip untersucht und mit detektivischer Kleinarbeit die Hintergründe aufgedeckt. Das Video ist nicht im November, sondern schon im Juni aufgenommen worden – zu einem Zeitpunkt, als die Proteste noch nicht die ganze Stadt erfasst haben.
Der Schauplatz ist nicht, wie insinuiert, die Toilette einer Universität, sondern diejenige einer Shopping Mall. Um Protestierende handelt es sich, aufgrund der Umstände, mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nicht.
Doch die Richtigstellung kommt zu spät, denn der Schaden ist schon angerichtet. Im aufgeheizten gesellschaftlichen Klima Hongkongs tragen solche Meldungen dazu bei, die Gräben in der Bevölkerung noch tiefer zu machen.
Seit Beginn der Proteste kursieren krude Behauptungen und Verschwörungstheorien im Netz. Es sind beide Seiten, die die öffentliche Meinung durch Desinformation und Fake News zu beeinflussen versuchen.
Warum wirken Fake News?
Masato Kajimoto lehrt Journalismus an der Hong Kong University mit Fokus auf Desinformation und Medienkompetenz. Etwa zur Frage, warum Fake News heute so stark wirken.
«Wenn jemand vor einem Jahr gesagt hätte, die Polizei töte im Geheimen Menschen und werfe sie nackt ins Meer, um die Spuren zu verwischen, dann hätte das niemand geglaubt», sagt er. «Im Moment zirkuliert eine solche Verschwörungstheorie über eine tot aufgefundene junge Frau.»
Die Gesellschaft sei vor einem Jahr noch nicht so zerrissen gewesen, die Polizei hätte noch nicht so polarisiert. «Was heute so viele Menschen glauben, hätte damals keine Wirkung entfaltet.»
Fact Checking – ein Tropfen auf den heissen Stein
Professor Masato Kajimoto vergleicht Fake News mit Viren, die nur geschwächte Organismen befallen und schädigen können. Geschwächt ist Hongkong, weil sich die China-loyale Seite und die Pro-Demokratie-Bewegung mittlerweile unversöhnlich gegenüber stehen.
Eine Spaltung, die quer durch die Bevölkerung geht und sich in tiefem Misstrauen und Hass äussert. «Diese gesellschaftliche Spaltung ist das Problem, das man beheben muss», sagt Kajimoto. «Fake News sind nur das Symptom.»
Natürlich geht es auch um die Symptombekämpfung: Darum, Fake News zu enttarnen. In Hongkong gibt es einige unabhängige Factchecker, etwa bei der News-Agentur AFP. An der Hong Kong University arbeitet Kajimoto zusammen mit Studierenden an einem Projekt, das Falschmeldungen aufdeckt.
Doch was Factchecker leisten, ist nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heissen Stein. Denn erstens ist der Output an News in den sozialen Medien dermassen gross und ihre Verbreitung so schnell, dass das zeitaufwendige Fact Checking nicht mithalten kann. Und zweitens: Fake News gehen viral – ihre Berichtigung aber nicht.
Medien stehen in der Pflicht
«Ich sage den Studierenden immer: ‹Denk nach, bevor du etwas auf den sozialen Medien teilst. Ist es zu gut, um wahr zu sein? Ist es das Originalvideo? Kannst du die Quelle herausfinden?› Man kann so viele Fragen stellen.»
Medienkompetenz ist ein Mittel gegen Fake News. Aber Masato Kajimoto, der vor seiner akademischen Karriere als Onlineredaktor bei CNN gearbeitet hat, weiss auch um die Verantwortung der Medien.
«Viele Journalisten in Hongkong greifen die Themen auf, die auf den sozialen Medien gerade im Trend sind. Sie teilen auch zweifelhafte Inhalte, mit der Begründung, dass die Menschen gerade darüber sprechen. Videosnippets von 10, 15 Sekunden Länge werden retweetet, ohne zu wissen, was vorher oder nachher passiert ist. Das muss aufhören.»
Stattdessen, so Kajimotos Vorschlag, sollte jede Newsorganisation ein unabhängiges Fact-Checking-Team für Social-Media-Inhalte haben, das rund um die Uhr im Einsatz ist. Das würde zwar nicht die Spaltung beheben, aber zumindest die Symptome eindämmen.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 22.1.2020, 22:25 Uhr