SRF: Wenn wir über Zukunft sprechen, müssen wir erst klären, wann diese beginnt. Ist das morgen? In einigen Jahren? In Jahrzehnten?
Simone Achermann: Sie beginnt morgen. Aber auch heute, wenn wir uns überlegen, was wir heute Abend machen. Was wir morgen kochen werden. Zukunft entsteht im Kopf.
Ferien nimmt man in der Regel von der Arbeit. Arbeiten wir in Zukunft überhaupt noch?
Die fortschreitende Automatisierung wird die Arbeitswelt nachhaltig verändern und viele Stellen aufheben. Doch wir werden weiterarbeiten. Repetitive Tätigkeiten können wir an Algorithmen delegieren.
Typisch «Menschliches» dürfte aber weiterhin in Menschenhand bleiben: Arbeiten, bei denen Intuition, Sozialverhalten und Vertrauen eine wichtige Rolle spielen.
Das Zuhause könnte wieder zum Ort der Arbeit werden – wie früher, als man zuhause genäht hat.
Auch der Arbeitsplatz wird sich weiter verändern: Durch die Digitalisierung können viele Tätigkeiten von überall her verrichtet werden. Das Zuhause könnte wieder zu einem Ort der Arbeit werden – wie früher, als man zuhause genäht, oder das Feld bestellt hat.
Brauchen wir dann noch Ferien im klassischen Sinn?
Unbedingt! Gerade, weil Arbeit und Privatleben stark verschmelzen, müssen wir uns erholen können.
Wie denn?
Indem wir zum Beispiel bewusst analoge Zeiten verbringen, offline gehen. Auf Inseln ohne Internetzugang, die mit Bibliotheken bestückt sind. Und in denen Briefpapier angeboten wird, damit wir unseren Freunden wieder einmal schreiben.
Digitalfreie Zonen also. Was gibt es noch für Überlegungen?
Wir werden sehr unterschiedlich Ferien machen. Der Massentourismus deckt die individuellen Bedürfnisse nicht mehr ausreichend ab. Schon heute können wir uns per Mausklick personalisierte Ferien zusammenstellen. In Zukunft geht es vielleicht an Orte, an denen nie zuvor jemand war – und an die niemals jemand wieder hingehen wird.
Wohin zum Beispiel?
An den Fuss irgendeines Berges, wo man alleine campiert. Dort hinterlässt man zwar Spuren, dokumentiert aber nichts mit Fotos. Weil es darum geht, dieses Erlebnis als einziger zu haben.
Als Sehnsuchtsorte der Zukunft gelten auch die Tiefsee und das Weltall. Wird man dorthin reisen können?
Absolut. Wobei wir uns mit Reisen zum Mond im Bereich der Science-Fiction bewegen. Orbit-Reisen werden jedoch in den nächsten Jahren möglich werden.
Ich bezweifle, dass virtuelle Reisen die Sehnsucht nach der Ferne stillen werden.
Entscheidend ist dabei der technologische Fortschritt.
Der Unternehmer Richard Branson bietet Orbit-Reisen seit längerem an. Bisher hat aber noch keine seiner Privatraketen sicher die Erde verlassen. Die Virtualisierung dürfte uns aber das All oder die Tiefsee bald näherbringen.
Menschen, die sich solche Luxusreisen der Zukunft nicht leisten können, können dieses Erlebnis mittels 3D-Brillen nachempfinden. Allerdings bezweifle ich, dass virtuelle Reisen die Sehnsucht nach der Ferne stillen werden. Es ist, wie wenn man vor einem Kuchen sitzt und ihn nicht essen kann.
Dabei kennen wir heute bereits die «4D-Technik», bei der in Kinos Kuchenduft verströmt oder Wind generiert wird. Können wir uns denn überhaupt schon vorstellen, wie sich ein solches Cyber-Erlebnis in Zukunft anfühlen wird?
Wie auch immer sich 4D anfühlen wird, wir werden das echte Erlebnis auch in Zukunft suchen – als Gegenreaktion auf das simulierte Erlebnis! Man wird sich nach authentischen Reisen sehnen. Wir sehen das heute in den steigenden Nachfragen nach Ferien auf dem Bauernhof. Es gibt einen Trend, dass man echte Menschen vor Ort kennen lernen möchte.
Für viele ist heute bei der Destinationswahl die Frage nach Sicherheit entscheidend. Gerade im Zeichen der Terror-Anschläge. Wie beeinflusst diese Situation unser Reiseverhalten?
Viele reisen nicht mehr in Länder, vor denen sie sich fürchten. Diese Tendenz könnte sich verstärken. Der Cybertourismus wird in Zukunft sicher auch eine Rolle spielen. Oder man macht vermehrt Ferien in der Nähe oder auf dem Lande fernab der Städte.
Wir leben immer länger und bleiben auch länger gesund: Wann machen wir in Zukunft überhaupt noch Ferien? Im jugendlichen Alter, im Erwachsenenleben oder eher ab 70?
Ein Szenario ist sicherlich, dass wir länger arbeiten und mehrere berufliche Karrieren anstreben werden. Wir könnten dazwischen Sabbaticals einlegen. Nicht nur der Musse wegen, sondern um uns umzuschulen oder uns für das Gemeinwohl einzusetzen.
Dieses soziale Engagement könnten wir in Zeitbanken einzahlen. Dieses Guthaben wird uns, wenn wir pensioniert werden, dann in Form von Pflegeleistungen oder Haushaltshilfen wieder ausbezahlt.
Das Gespräch führte Noëmi Gradwohl.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kontext, 20.6.2017, 9:00 Uhr.