Preise steigen nicht, sie werden erhöht. Das ist das Paradebeispiel aus dem Buch «Die Sprache des Kapitalismus» vom Ökonomen Daniel Stähr und dem Kultur- und Literaturwissenschaftler Simon Sahner.
Das Beispiel steht stellvertretend für die Art und Weise, wie wir über wirtschaftliche Zusammenhänge sprechen. «Nämlich so, als handle es sich um Naturgesetze, denen Menschen einfach ausgeliefert sind», so Simon Sahner. Preise steigen aber nicht einfach so, wie zum Beispiel der Meeresspiegel.
«Hinter jedem wirtschaftlichen Vorgang, auch wenn Lebensmittel teurer werden, stecken unzählige aktive Entscheidungen und die könnten immer auch anders sein», ergänzt Daniel Stähr.
In ihrem Buch zeigen die beiden Autoren auf, wie Politiker oder CEOs häufig dramatisches Vokabular nutzen, um wirtschaftliche Zusammenhänge zu beschreiben oder Entscheidungen zu rechtfertigen: «Die Märkte sind in Aufruhr», «an der Wallstreet ziehen dunkle Wolken auf», «Energiepreise explodieren».
Katastrophen-Vokabular statt Genauigkeit
«Einerseits ist es sinnvoll, in Metaphern zu sprechen, um komplexe Sachverhalte zu erklären», so Literaturwissenschaftler Sahner, «aber man muss sich auch im Klaren sein, welche Vorstellungen solche Metaphern transportieren und welche Wirkung sie erzeugen.»
Meteorologische Ausdrücke und Katastrophen-Vokabular sind besonders geläufig: Finanz-Tsunami, Mietpreis-Explosion, Banken-Beben. «Damit erzeugen CEOs und Politiker unmittelbar Dramatik und Gefahr. Und so lassen sich auch umstrittene politische Entscheidungen leichter rechtfertigen. Ohne dass sie weiter erklären müssten, warum es denn zu so einem Banken-Beben gekommen ist», so Simon Sahner und verweist auf die letzte Bankenrettung in der Schweiz.
Solche Formulierungen hätten den Effekt, dass einerseits Verantwortung verschleiert wird und andererseits entstünde der Eindruck, dass wirtschaftliche Dinge einfach so geschehen. «So funktioniert unser Wirtschaftssystem aber nicht. Unsere Wirtschaftsordnung und die gegenwärtigen Phänomene sind die Folgen von Entscheidungen und Handlungen von Menschen in Machtpositionen», meint Ökonom Daniel Stähr.
Sprachkritik und steile Thesen
«Die Sprache des Kapitalismus» ist erhellende Sprachkritik mit vielen Aha-Momenten. Es ist aber auch ein Plädoyer dafür, genauer über wirtschaftliche Zusammenhänge zu sprechen – in der Hoffnung, dass damit Alternativen zum Kapitalismus denkbar werden. Und insofern ist es auch ein Buch mit steilen Thesen, nämlich der Annahme, dass genaueres Sprechen zu einer gerechteren Wirtschaftsordnung führen kann – eine sehr sprachoptimistische Haltung.
Unklar bleibt, wie diese neue Ordnung aussehen soll. Denn beide Autoren machen immer wieder klar, dass sich niemand die sozialistischen Unterdrückungs-Regime der Vergangenheit zurückwünschen kann.
Insofern scheint der Zugang über die Sprache hin zu einer gerechteren Wirtschaftsordnung stellenweise fast naiv. Ökonom Daniel Stähr kontert: «Es ist auch ein grosser Erfolg der kapitalistischen Erzählung, dass wir uns eine postkapitalistische Gesellschaft kaum vorstellen können. Und hier kann ein präziserer Umgang mit Sprache ein Anfang sein.»