Vier Jahre ist es her, als eine Gruppe radikaler Musliminnen und Muslime in Deutschland einen Anschlag plante. Die Organisation lief zum grossen Teil über WhatsApp – über 5000 Nachrichten wurden verschickt.
Michael Kiefer und sein Forschungsteam von der Universität Osnabrück haben diese Nachrichten analysiert. Die Studie war Teil des breit angelegten Forschungsprojekts « Religion als Faktor der Radikalisierung », das gerade abgeschlossen wurde.
«Lego-Islam»
Es habe sich gezeigt, dass viele der radikalen Musliminnen und Muslime keine soliden Grundkenntnisse des Islams hätten, sagt Michael Kiefer. «Sie basteln sich ein Weltbild aus Informationen im Internet, dem einen oder anderen Vortrag und einzelnen Koran-Suren.»
Der Islamwissenschaftler nennt dies «Lego-Islam». Die meisten jungen Menschen, die sich radikalisierten, kämen aus einem religionsfernen Umfeld, sagt Kiefer. Sie sind zum Islam konvertiert oder stammen aus muslimischen Familien, die den Islam nicht regelmässig praktizierten.
Chance auf Deradikalisierung
Daneben gebe es natürlich auch die ideologisch gefestigten Fundamentalisten, die oft bereits aus radikalen Familien stammten. «Bei ihnen hat längst eine Dämonisierung und Entmenschlichung der Feinde stattgefunden.»
Das mache den Weg aus der Radikalisierung schwer bis unmöglich. «Sie müssen überwacht und im Zweifelsfall weggesperrt werden», sagt Michael Kiefer.
Diese «Kaderpersönlichkeiten», wie Michael Kiefer sie nennt, sind aber die Ausnahme. Bei den meisten radikalen jungen Menschen bestehe die Chancen auf Deradikalisierung – mit der richtigen Methode.
Lange sei man davon ausgegangen, dass es Religionsexpertinnen brauche, um die radikalisierten Musliminnen und Muslime zu erreichen. «Das hat sich als falsch erwiesen», sagt Michael Kiefer. «Man kann junge Menschen nicht mit Glaubenskenntnissen zurück in die Zivilgesellschaft führen.»
Sozialarbeiter statt Theologinnen
Denn die Religion sei nur ein Faktor bei der Radikalisierung. Oft hätten die jungen Menschen Brüche erlebt – den Tod eines nahen Angehörigen, Misserfolge in Beruf oder Schule, die Trennung der Eltern.
«Statt Theologen braucht es deshalb mehr Psychologinnen und Sozialarbeiter – auch an den Schulen.» Denn je früher man erkennt, dass ein junger Mensch in die Radikalisierung abrutscht, desto grösser sind die Chancen, den Prozess aufzuhalten.
Michael Kiefer nimmt nicht nur Schulen und Eltern in die Pflicht, sondern auch die Moscheegemeinden. «Sie müssen mehr tun, um die jungen Leute, die sich für den Islam interessieren, abzuholen.» Etwa in den sozialen Medien.
«Das Internet gehört noch immer hauptsächlich den Radikalen. Das muss sich ändern», sagt Michael Kiefer. Die Präsenz im Netz sei auch eine Frage des Geldes, das den Moscheegemeinden oft fehle. Trotzdem sei dieser Schritt zentral in der Radikalisierungsprävention.