Was haben islamische Terroristen, Rechtspopulisten und Feministinnen gemeinsam? Sie alle sorgen sich um ihre Identität und suchen nach Anerkennung. Das behauptet Francis Fukuyama in seinem neuen Buch «Identity: The Demand for Dignity and the Politics of Resentment».
Bereits vor 30 Jahren wagte der einflussreiche US-amerikanische Politologe eine steile These: Angesichts des Zusammenbruchs der Sowjetunion verkündete er «das Ende der Geschichte».
Der Kapitalismus habe über den Kommunismus triumphiert und werde sich nun weltweit ausbreiten, verkündete Fukuyama 1989. Die liberale, marktwirtschaftliche Demokratie habe den Kampf der politischen Ideologien gewonnen.
Angst vor Identitätsverlust
Seit einigen Jahren geraten liberale Demokratien jedoch vermehrt unter Druck – durch populistische Strömungen ebenso wie durch autoritäre Regime, wie etwa in Russland oder der Türkei.
Die Ursachen dafür seien weniger wirtschaftlicher als vielmehr kultureller Art, meint Fukuyama: «Die Menschen fürchten in erster Linie nicht den sozialen Abstieg, sondern den Verlust der eigenen Identität – verursacht durch Modernisierung, Globalisierung und Migration.»
Der Mensch brauche eine Identität, auf die er stolz sein kann, betonte Fukuyama bereits in seinem Buch «The End of History and the Last Man» von 1992. Wir sehnen uns nach Anerkennung und Wertschätzung, mehr als nach Wohlstand und Freiheit.
Fukuyama bezieht sich dabei auf den altgriechischen Begriff «thymos», der mit «Stolz», aber auch mit «Zorn» übersetzt werden kann.
Fehlt uns die soziale Anerkennung, mindert das unseren Selbstwert und führt zu Scham, Wut und Zorn. Es beginne ein «Kampf um Anerkennung» – für Fukuyama, wie bereits für den deutschen Philosophen Hegel, der treibende Motor der Weltgeschichte.
Zu aggressiv, zu liberal
In der Sehnsucht nach Anerkennung gründe nicht nur der gegenwärtige Rechtspopulismus, sondern auch der islamische Terrorismus, der Feminismus und die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Auch wenn diese Bewegungen laut Fukuyama aus moralischer und politischer Sicht sehr unterschiedlich bewertet werden müssen.
Fukuyama selbst propagierte bis 2003 eine neokonservative Politik, war politischer Berater von Ronald Reagan und George Bush Senior. Der Irakkrieg bewirkte eine Kehrtwende. Die Aussenpolitik der USA war ihm auf einmal zu aggressiv, die Wirtschaftspolitik zu liberal.
Seither steht er auf der Seite der Demokraten, kritisiert aber gleichwohl die linke Politik der letzten Jahre, sowohl in den USA als auch in Europa. Die linken Parteien fokussierten sich zu stark auf benachteiligte Gruppen wie Frauen, Schwarze oder Homosexuelle. Die weisse Arbeiterschicht und die soziale Ungleichheit hätten sie dabei aus den Augen verloren.
Dieser Vorwurf ist nicht neu. Er wurde im letzten Jahr ausgiebig debattiert, ausgelöst durch den Politologen Mark Lilla . Ähnlich wie Lilla fürchtet auch Fukuyama, dass unsere Gesellschaften in immer kleinere Gruppen zersplittern, und fordert darum eine Stärkung der nationalen Identitäten: ein klares Bekenntnis zu den Grundwerten der jeweiligen Verfassung.
Zusätzlich brauche es Rituale und Symbole, die einen liberalen Patriotismus befördern – Fussball, Nationalfeiertage und ähnliches. Spätestens bei solchen Äusserungen spürt man Fukuyamas politische Vergangenheit.
So auch, wenn er im neuen Buch bessere Grenzkontrollen und strengere Einbürgerungsverfahren fordert, um – wie er behauptet – dem Rechtspopulismus das Wasser abzugraben.
Weisse aus den Augen verloren
Was das konkret heisst, bleibt leider unklar. Konkrete politische Massnahmen sucht man bei Fukuyama vergebens. Die Stärke seines Denkens besteht in der Distanz, in der Übersicht grosser Zusammenhänge und langer Entwicklungen.