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Ungewisse Zukunft für demokratische Staatsformen
Aus Echo der Zeit vom 30.11.2018. Bild: SRF
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Folgen der Identitätspolitik Ist die Demokratie in der Krise, Herr Fukuyama?

In zahlreichen Staaten testen populistische politische Strömungen von links und immer stärker auch von rechts die demokratischen Institutionen. Ist die Demokratie als Staatsform deshalb schon in der Krise? Sie sei zumindest gefährdet, sagt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama.

Francis Fukuyama

Politologe

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Der US-amerikanische Autor («The End of History and the Last Man») und Politologe lehrt zurzeit an der Stanford University. Davor arbeitete unter anderem bei der Denkfabrik Rand und für die US-Regierung. Im Herbst ist sein jüngstes Buch «Identity» erschienen.

SRF News: Eine Ihrer Thesen lautete, dass sich Demokratie und freie Marktwirtschaft durchsetzten. Seit einiger Zeit bewegt sich die Welt aber hin zu Protektionismus, Nationalismus und autoritären Regimen. Was haben Sie übersehen?

Francis Fukuyama: Wir haben eine ausgedehnte Phase hinter uns, während der sich immer mehr Länder zu einer liberalen Weltordnung bekannt haben. Die Zahl der Demokratien stieg zwischen 1970 und 2007 weltweit von rund 35 auf rund 115. Die globale Wirtschaft hat viele Leute reich gemacht und Prosperität nach China, Indien und anderswo gebracht. Aber in letzter Zeit kann man einen Rückschritt beobachten. Die Wahl von Trump oder die Brexit-Abstimmung sind Reaktionen auf die Globalisierung. Die Frage heute ist: Werden die liberalen Demokratien langfristig ersetzt durch eine andere Regierungsform? Dazu gibt es heute noch keine schlüssige Antwort.

Sie sagen, der Populismus ist eine der grössten Gefahren für unsere Gesellschaft. Warum?

Populistische Führerpersonen strahlen eine charismatische Autorität aus, die sich gegen die Institutionen im Staat richtet. Diese Personen glauben, sie hätten ein direktes Mandat des Volkes und verabscheuen Kontrollmechanismen, die in der Verfassung festgeschrieben sind. Wenn die Verunglimpfung erfolgreich ist, wird das demokratische System langfristig beschädigt.

In Ihrem neuen Buch «Identity» ist oft die Rede von Identitätspolitik. Was ist das?

Wir haben eine Gruppenidentität, die uns mit anderen Menschen verbindet. Diese Identität ist aber durch die Gesellschaft rund um uns herum nicht anerkannt. Identitätspolitik will eine solche Anerkennung einfordern. Das kann verschiedene Formen annehmen. Nationalismus ist eine der frühesten Formen, beispielsweise in Deutschland im 19. Jahrhundert.

Demonstranten der Black-Lives-Matter-Bewegung
Legende: Die Bewegung Black Lives Matter ist notwendig – im Gegensatz zu weissem Nationalismus, so Fukuyama. Keystone

Eine andere Form liegt vor, wenn Gruppen in liberalen Gesellschaften das Gefühl haben, ihre Identität werde marginalisiert. Beispiele sind die Bürgerrechtsbewegung in den USA oder die LGBT-Gemeinde. Verstörend finde ich das Erstarken einer weissen, rechts stehenden Identitätspolitik. Diese Leute behaupten, sie würden schlecht behandelt und müssten ihr Land von Ausländern und Eliten zurückholen. Eine Demokratie auf diesem Fundament hat es schwer.

Gibt es gute und schlechte Identitätspolitik?

Das hängt von der Interpretation des Identitätsbegriffs ab. Ich sehe die Black-Lives-Matter-Bewegung nicht auf derselben moralischen Ebene wie den weissen Nationalismus. Erstere ist eine Reaktion auf echte Ungerechtigkeiten und deshalb auch notwendig. Aber: Jede Identitätsbewegung kann intolerant sein und die Gesellschaft spalten. In einer liberalen Gesellschaft sollten wir als Individuen behandelt werden. Und das ist die Herausforderung: Identitätspolitik eignet sich nur für Gruppen.

Hat die Gesellschaft gewisse Gruppen vernachlässigt, die mit Trump jemanden gefunden haben, der sie unterstützt?

Sozialisten und Kommunisten in Europa und die Demokraten in den USA vertraten im 20. Jahrhundert die Arbeiterklasse, die mehrheitlich weiss war. Dann aber haben diese linken Parteien ihren Fokus verändert; weg von den Arbeitern, hin zu Minderheiten, Migranten und anderen Gruppen. Die weisse Arbeiterschicht fühlte sich im Stich gelassen und wechselte zum rechten Rand.

Die Linke muss ihre Botschaft so anpassen, dass sie ihre früheren Stammwähler zurückgewinnt.

In Frankreich wählen frühere Kommunisten heute den Front National. Trump wurde gewählt, weil er in einigen Schlüsselstaaten genügend langjährige Demokraten überzeugen konnte, republikanisch zu wählen. Die Linke muss ihre Botschaft so anpassen, dass sie ihre früheren Stammwähler zurückgewinnt. Sonst bleiben wir blockiert in der Identitätspolitik, bei der es lediglich darum geht, mit welchem Geschlecht und welcher Hautfarbe wir zur Welt gekommen sind. Und nicht um unterschiedliche Ansichten zu politischen Fragen.

Wie kommen wir aus diesem Kreislauf heraus?

Es braucht Anführer, die die nationale Identität ins Zentrum stellen. Alle Menschen sollten dazugehören dürfen, losgelöst von Ethnizität, Geschlecht oder Religion. Gleichstellung, eine Regierung, die sich an die Verfassung hält, Rechtsstaat: Das ist das Minimum. Jede nationale Gemeinschaft sollte zudem gemeinsame Symbole haben – zum Beispiel eine Sportart oder eine Nationalspeisen. Da müssen sich alle Demokratien noch viel mehr anstrengen.

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

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