«Auf der Weltkarte der Frauen gibt es nur wenige ‹entwickelte› Länder», schreibt Joni Seager im Vorwort zur aktuellen Ausgabe des «Frauenatlas». Seager ist Professorin für Global Studies in Boston und als Geografin gefragte Expertin für globale Strategien in der Politik.
Dank Fakten Ungleichheit verstehen
Ohne die tatsächlichen Unterschiede im Leben von Frauen in «entwickelten» und «unterentwickelten» Ländern leugnen zu wollen, hält Seager folgende Tatsachen fest: Frauen sind überall auf der Welt unterbezahlt. Sie erfahren aufgrund ihres Frauseins Gewalt und werden durch Gesetze und Normen davon abgehalten, unabhängig zu leben.
Frauen machen den grössten Teil der Armen auf der Welt aus und leisten den Löwenanteil der unbezahlten Care- und Haushaltsarbeit. Sie sind oft von der Macht ausgeschlossen und müssen nach wie vor um ihre Rechte kämpfen.
164 ansprechend und verständlich gestaltete Karten und Infografiken sowie kurze Einführungstexte geben Einblick in die Lebensrealitäten von Frauen. Fakten tragen dazu bei, Ungleichheit zu verstehen. Insgesamt umfasst der «Frauenatlas» rund 60 Themen, die in Kapitel gegliedert sind wie Arbeit, Gesundheit, Besitz, Macht und Bildung.
520 Millionen Frauen können nicht lesen
Bildung ist der Schlüssel zur weiblichen Emanzipation. Heute können weltweit 780 Millionen Erwachsene weder lesen noch schreiben. Zwei Drittel davon sind Frauen. Das ist erschreckend und doch schon deutlich besser als noch vor 30 Jahren: Damals konnten 70 Prozent aller Frauen lesen. Heute sind es 82 Prozent.
Den ersten «Frauenatlas» veröffentlichte Joni Seager 1987 – jetzt liegt die fünfte Ausgabe vor. Die Autorin befasst sich also seit mehr als 30 Jahren mit den Lebensrealitäten von Frauen, kennt die relevanten Studien und listet diese im Anhang auch auf.
So erfahren wir zum Beispiel, dass nur ein Viertel der Weltbevölkerung Zugang hat zu sanitären Einrichtungen. Für Frauen ist das besonders entwürdigend. Fehlende Toiletten können auch dazu führen, dass Eltern ihre Töchter nicht mehr zur Schule schicken, besonders nachdem sie die Pubertät erreicht haben.
Schlusslicht Schweiz beim Wahlrecht
Der Atlas kartografiert die Welt aus weiblicher Perspektive – wie schneidet die Schweiz ab?
In der Tabelle zum Frauenwahlrecht ist sie das Schlusslicht: Während die Männer das Wahlrecht 1848 erhalten haben, war es bei den Frauen erst 1971 so weit. Dazwischen klafft eine Lücke von 123 Jahren.
Was den globalen Gender-Gap-Index betrifft, so liegt die Schweiz im oberen Mittelfeld: Sie schneidet besser ab als Italien, Österreich oder Singapur, aber schlechter als Deutschland, Frankreich oder Südafrika.
Liste der Fortschritte ist kurz
Neben Fortschritten in der Bildung und beim vollen Wahlrecht haben die meisten Regierungen mittlerweile Abkommen unterzeichnet, die die Frauenrechte anerkennen. Auch Lohnunterschiede werden vielerorts als Ungerechtigkeit wahrgenommen. Und sexuelle Belästigungen werden auch dank der #MeToo-Bewegung vermehrt öffentlich gemacht.
Doch die Liste der Fortschritte sei leider kurz, schreibt Joni Seager. Wenn es in diesem Tempo weitergehe, werde der Gender-Gap noch 217 Jahre bestehen bleiben. Diese Zahl mag etwas willkürlich erscheinen, unbestritten aber ist: Der Weg ist noch lang.