Sport erfährt in Russland aktuell so viel kirchliche Zuwendung wie nie. Eigentlich lehnt die ostkirchliche Frömmigkeit jeden Körperkult, Wetten und Spiel ab. Sportlicher Wettkampf gilt als eitel. Olympische Spiele wurden schon als heidnischer Kult verurteilt.
Das änderte sich mit den Winterspielen in Sotschi 2014. Damals segnete der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill die Spiele: Die russischen Sportlerinnen und Sportler würden dem Segen des Vaterlandes dienen.
Einen Sieg des russischen Eishockey-Teams in Sotschi nannte Patriarch Kyrill dann sogar ein «Wunder». Hier habe Gott selber segensreich eingegriffen.
Damit bekam der Sport endgültig den kirchlichen Segen. Er wurde theologisch aufgewertet und als «Kampfinstrument» legitimiert, um «russische geistige Werte» gegen die angebliche westliche Dekadenz zu verteidigen.
Sport als Kampfmittel des Nationalismus
In der kommunistischen Sowjetzeit lehnte die russisch-orthodoxe Kirche den Profisport noch ab. Sportliche Überlegenheit sollte den Ostblockstaaten für ihre ideologische Überlegenheit als Beweis dienen. Ein Sieg der UdSSR über die USA wurde immer auch als Sieg des kommunistischen Systems über den kapitalistischen Westen gefeiert.
Die Kirche aber wurde in Sowjet-Russland unterdrückt und verfolgt. Sie litt empfindlich unter dem Staatsatheismus. Schon deshalb war ihr der Staats-Sport suspekt.
Die orthodoxe Skepsis Sport und Spiel gegenüber hat aber auch tiefe spirituelle Gründe, weiss die russische Historikerin Alena Alshanskaya. Sie lebt mit ihrer jungen Familie in Deutschland und erforscht osteuropäische Geschichte am Leibniz-Institut in Mainz.
«Sport und Wettkämpfe lenken von Gott ab»
In der orthodoxen Frömmigkeit gehe es primär darum, die Seele zu pflegen und nicht den Körper, sagt Alshanskaya. Denn Sport im Sinne eines Körperkults trete in direkte Konkurrenz zu Gott. Der Fokus auf sportlichem, also auf irdischem Erfolg lenke den Menschen ab vom spirituellen Fokus auf Gott.
Anstelle des irdischen solle man sich auf das ewige Leben konzentrieren. Darum konnten orthodoxe Theologen Sportwettkämpfe und Athleten-Verehrung auch als «Götzendienst» brandmarken. Das hat sich nun, zumindest in Russland, nahezu ins Gegenteil verkehrt.
Patriarch segnet die Spiele
Russland ist heute geschwächt durch die Staatsdoping-Affäre und den internationalen Wirtschaftsboykott. Wenn nun internationale Spiele ins Land kommen, dann sei das segensreich, heisst es nun.
Und der sportliche Erfolg der Nation stärke «Stolz und Liebe zum Vaterland», lobt das Moskauer Patriarchat wörtlich. Die Haltung der russisch-orthodoxen Kirche ist im wahrsten Wortsinn staatstragend.
Die promovierte Historikerin Alshanskaya sieht das kritisch. Von Deutschland aus beobachtet sie, wie die Kirche «russische Nationalwerte» beschwört. Zugleich predigt die Kirche gegen den «moralisch verdorbenen» Westen.
«Der böse Westen gegen das hochmoralische, geistige Russland»
Auf dem Sportfeld misst sich heute zwar nicht mehr der Sowjet-Kommunismus mit dem kapitalistischen Westen, dafür aber «das hochmoralische, geistige Russland».
So wird die Fussball-WM 2018 auch zu einem Wettkampf der Werte von Ost und West, – und diesmal spielt die russisch-orthodoxe Kirche mit.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 7.6.2018, 8:20 Uhr