«Vögeliwohl» fühlt man sich im Schweizerdeutschen besonders gut. Das dachte sich auch die englische Autorin Sarah Bakewell, die sich in ihrem jüngsten Buch mit der Frage nach dem guten Leben auseinandersetzt.
Als passionierte Vogelbeobachterin fand sie aber heraus: So ein Vogelleben scheint kaum besser als das unsrige, es ist geprägt von Aggression, Gewalt und Konkurrenz.
Wenn also nicht in der Vogelwelt, wo findet man Antworten darauf, was das gute Leben ausmacht? Bakewell fand sie in der Literatur, genauer gesagt in der Strömung des Humanismus. Und goss sie in ein Buch, mit dem kuriosen Titel «Wie man Mensch wird».
«Nichts Menschliches ist mir fremd»
Den Humanisten gehe es darum, dass der Mensch in seiner Existenz selbstbestimmt die eigenen Potenziale entfaltet. Aber nicht als einsam flottierende Insel, sondern in einem Netzwerk anderer Menschen. Dies befähige uns, menschlicher zu werden. «Weil wir mit anderen Menschen bis in die Wurzeln unseres Seins verbunden sind», so Bakewell.
Wir seien Verbindungswesen und müssten uns in diesem Netz des Lebens finden und begreifen. Ganz nach dem Motto: «Ich bin ein Mensch. Nichts Menschliches ist mir fremd», das der römische Komödiendichter Terenz geprägt hat.
Wir Verbundenen
Diese Idee stellte auch Desmond Tutu als Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission nach dem Ende der Apartheid in Südafrika ins Zentrum seiner Zukunftsvision. Er sprach von «Ubuntu», einem südafrikanischen Konzept, das ausdrückt, dass wir alle zum selben Bündel Leben gehören, es nur vergessen hätten und diese Verbindung neu beleben müssten.
Deshalb setzten sich Humanisten auch stark für das Allgemeinwohl ein, übernahmen politische Verantwortung, nutzten ihr Wissen für die Gemeinschaft, rebellierten gegen Ideologien oder die etablierte Kultur in Form von Poesie und Literatur.
Auf einen Kaffee mit dem Existenzialisten
Jean-Paul Sartre war für Bakewell – damals als 16-Jährige – die Initialzündung, sich mit dem Humanismus zu beschäftigen. Der französische Philosoph lieferte Mitte des 20. Jahrhunderts ein Modell dafür, wie man ein unabhängiges Leben führt.
Wie Sartres eigenes Leben aussah, das erzählt Bakewell in ihrem weltweiten Bestseller «Das Café der Existenzialisten», wo sie ihn, seine Gefährtin und Feministin Simone de Beauvoir und Konsorten schriftstellerisch begleitet und als Rollenbilder verewigte.
Zur Freiheit verdammt
Rollenbilder, die die manchmal schwindelerregende Freiheit jedes Einzelnen ins Zentrum stellten. Denn, ob als Existenzialist oder Humanist gesprochen, zur Selbstbestimmung und Selbstwerdung bedarf es der Emanzipation und der Freiheit.
Diese Freiheit nun in ein sinnhaftes Ganzes mit unserer existenziellen Verbundenheit zu bringen ist die Herausforderung, der sich Sarah Bakewell als Humanistin stellt. Denn das eigene Glück könne nicht auf Kosten anderer gefunden werden.
Zeit zum Glücklichsein
So schliesst sie mit einem Zitat des Freidenkers Robert Ingersoll: «Glücklichsein ist der einzige Wert. Die Zeit zum Glücklichsein ist jetzt. Der Ort zum Glücklichsein ist hier. Der Weg zum Glücklichsein besteht darin, andere glücklich zu machen.»
Darum geht es Bakewell auch in ihren Büchern. Sie ermöglichen über die Zeit hinweg mit anderem Bewusstsein in Kontakt zu treten, Verbindung zu schaffen und somit wahrhaftig Mensch zu werden.