Zum Inhalt springen
Video
Yascha Mounk – Identitätspolitik als Gefahr für die Demokratie?
Aus Sternstunde Philosophie vom 24.03.2024.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 58 Minuten 27 Sekunden.

Gedanken zur Identitätspolitik Könnten die «Woken» für Trumps Wiederwahl mitverantwortlich sein?

Identitätspolitik wird immer wichtiger. Für den Politikwissenschaftler Yascha Mounk birgt das grosse Gefahren – auch für die Demokratie.

Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung: Die Merkmale unserer Identität sind heute Kernthemen der gesellschaftlichen Debatte. Identitätspolitik soll Privilegien und Missstände aufzeigen – und spaltet nebenbei unsere Gesellschaft.

Das meint Yascha Mounk, einer der gefragtesten Forscher über die Krise der liberalen Demokratie. Der deutsch-amerikanische Politologe und Podcaster («The Good Fight») polarisiert mit seinem Plädoyer für «über-ideologische Redefreiheit».

Trump und die Latinos

Als Hochschullehrer in den USA ist Yascha Mounk ganz nah dran an den Entwicklungen, die womöglich zur Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten führen könnten. Überraschend sei dabei, dass die Republikaner auch Mehrheiten unter der schwarzen und Latino-Bevölkerung bei der kommenden Wahl für sich gewinnen könnten.

Lationos mit Plakaten für Trump als Präsident.
Legende: «Latinos for Trump»: Bereits 2020 war die Unterstützung für Trump unter den Latinos gross – das ist auch dieses Jahr zu erwarten. IMAGO / ZUMA Wire

Das liegt am Wandel der Demokratischen Partei zu einer Partei der Gebildeten und Wohlhabenden, ist sich Mounk sicher. Die Anliegen der Arbeiterklasse wurden gegen «Wokeness» und Identitätspolitik eingetauscht.

Polarisierung auf dem Vormarsch

Sein neu erschienenes Buch «Im Zeitalter der Identität: Der Aufstieg einer gefährlichen Idee» beleuchtet, wie der politische Zeitgeist der linksliberalen, gutsituierten Gesellschaft die Nöte der schlechter Gestellten zunehmend aus dem Blick verliert und rechtspopulistische, antidemokratische Parteien an Macht und Einfluss gewinnen.

Video
Identitätspolitik – wer darf an wessen Stelle sprechen?
Aus Sternstunde Philosophie vom 16.05.2021.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 1 Sekunde.

«Es gibt einen roten Faden zwischen diesen beiden Sorgen», sagt er. Auch in Europa seien «woke» und liberale Ideologien mit schuld an der Polarisierung und dem Hass auf die Elite.

«Wir verlieren etwas»

Mounk wurde als Sohn polnischer Eltern in Deutschland geboren. Die eigene Identität definiert er auch über seine jüdische Herkunft. «Damit habe ich auch überhaupt kein Problem», sagt er, denn in unserer multikulturellen Gesellschaft seien diverse Identitäten eine Bereicherung.

In den USA war ich plötzlich Repräsentant der grössten Tätergruppe: der Weissen.

«Aber ich finde, wenn wir uns in der Gesellschaft so sehr auf die Identität fokussieren, dass wir uns darüber definieren müssen, dann verlieren wir etwas.» Menschen solidarisieren sich nur noch innerhalb der eigenen Gruppe. Das schafft Gräben und schürt Konflikte.

Bloss keine Sonderbehandlung

Mounk bezieht sich dabei oft auf seine eigene Erfahrung. «Als ich in Deutschland aufwuchs, war ich der Vertreter der wichtigsten Opfergruppe. Dann bin ich in die USA ausgewandert und war plötzlich Repräsentant der grössten Tätergruppe: der Weissen».

Vergewaltigungsvorwürfe gegen Yascha Mounk

Box aufklappen Box zuklappen

Yascha Mounk ist mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert und lässt seine Funktion als Mitherausgeber der «Zeit» zunächst ruhen. Die Vorwürfe gegen Mounk hatte in den USA eine Journalistin erhoben und sie öffentlich auf der Plattform X bekannt gemacht.

Mounk teilte auf dpa-Nachfrage zu den Vorwürfen mit: «Ich bin mir der schrecklichen Anschuldigung gegen mich bewusst. Sie ist kategorisch unwahr.»

Er jedoch plädiert für Gleichbehandlung statt Sonderbehandlung – in beide Richtungen. Er kritisiert, «dass wir uns im Gespräch nicht mehr als Menschen begegnen, sondern als Repräsentanten dieser Identitätsgruppen».

«Kultur der Angst»

Es sei zudem eine «Kultur der Angst» entstanden, etwas Falsches zu sagen. Jenseits der Sozialen Medien betreffe das auch die gefühlte Meinungsfreiheit der Menschen im eigenen Bekanntenkreis. Ihren Frust liessen sie dann an der Wahlurne aus.

Das Vertrauen in Institutionen über Zensur zu entscheiden, fehlt Mounk. «Wir brauchen ein überparteiliches und über-ideologisches Bekenntnis zur Redefreiheit, denn niemand weiss, was die politische Situation von morgen sein wird und wer dann plötzlich zum Schweigen gebracht wird.»

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Yascha Mounk: «Im Zeitalter der Identität: Der Aufstieg einer gefährlichen Idee». Klett Cotta, 2024.

Die Kultur-Highlights der Woche im Newsletter

Box aufklappen Box zuklappen

Entdecken Sie Inspirationen, Geschichten und Trouvaillen aus der Welt der Kultur: jeden Sonntag, direkt in Ihr Postfach. Newsletter jetzt abonnieren.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 24.3.2024, 11:00 Uhr.

Meistgelesene Artikel