Überstunden, ständige Erreichbarkeit, Vollzeitarbeit, Karriere um jeden Preis? Lieber nicht! David Gutensohn, stellvertretender Ressortleiter «Arbeit» bei «Zeit Online», wehrt sich in seinem Buch «Generation Anspruch» gegen Faulheitsvorwürfe gegen Unter-30-Jährige.
SRF: Was stört Ihre Generation am meisten an der Arbeitswelt?
David Gutensohn: Die jungen Menschen wollen vor allen Dingen, dass Arbeit nicht mehr krank macht und nicht mehr automatisch zu einem Burnout führt. Sie denken, dass wir die Arbeitswelt so gestalten sollten, dass die Menschen Jobs haben, die sie wirklich zufriedenstellen. Jobs, die sinnvoll sind. Sie sagen: «Arbeit ist wichtig für mich, aber nicht alles.»
Sie schreiben, die jungen Leute wollen «grundsätzlich anders arbeiten». Wie?
Sie wollen zu flexiblen Zeiten arbeiten, Homeoffice, einen echten Feierabend, nicht übermässige Überstunden. Sie möchten eine Work-Life-Balance, um sich von der Arbeit auskurieren und abschalten zu können.
Die junge Generation denkt anders.
Und das nicht mit dem Hintergedanken, dass man faul sein und mehr Freizeit haben will, sondern eher, dass man im Job wiederum leistungsfähig sein will.
Stichwort «Faulheit»: Damit haben Sie die Kritik an dieser Generation umrissen, die Millennials und Post-Millennials würden nur Ansprüche stellen. Wie antworten Sie darauf?
Ein Grund, dieses Buch zu schreiben, war, dass ich mich über Kritik aus der Politik geärgert habe. Da gab es Äusserungen, dass die junge Generation faul und nicht leistungsbereit sei. Dass sie sich aus der Altbauwohnung Champagner bestellen und der Lieferant dafür arbeiten muss. Solche Klischees haben mich geärgert.
Aber solche Äusserungen gab es schon immer. Schon Aristoteles sprach davon, dass die Jugend unerträglich und unverantwortlich sei. Sokrates hat Ähnliches gesagt. Immer wieder werden Generationen gegeneinander ausgespielt.
Gehören zur «Generation Anspruch» auch junge Berufsleute aus nichtakademischen Berufen?
Ja, wir sehen auch in klassischen Ausbildungsberufen, dass die junge Generation anders denkt. Wir erleben beispielsweise, dass Handwerksbetriebe die Viertagewoche einführen. Weil sie attraktiv sein wollen für Arbeitnehmer, aber auch, weil die junge Generation das in Bewerbungsgesprächen fordert.
Heute sind die Unternehmen dankbar, wenn sie Menschen finden.
Weil der Fachkräftemangel so verschärft ist, verändert sich auch in diesen Berufen etwas. Gleitzeit und kürzere Arbeitszeiten werden eingeführt, mehr freie Tage an den Wochenenden in der Gastronomie. Wir erleben einen Umbruch.
Wegen des Fachkräftemangels hat die junge Generation aktuell eine gute Ausgangslage, auf dem Arbeitsmarkt ihre Forderungen durchzusetzen?
Definitiv. Ich würde die These aufstellen, dass auch die ältere Generation ähnliche Ansprüche an Arbeit durchgesetzt hätte, wenn das möglich gewesen wäre. Aber damals herrschte Massenarbeitslosigkeit oder zumindest das Gefühl, dass man dankbar sein muss, einen Job zu finden. Das hat sich gewandelt. Heute sind die Unternehmen dankbar, wenn sie Menschen finden, die ihre Stellen besetzen.
Das ist natürlich eine Verhandlungsbasis, die junge Menschen in Bewerbungsgesprächen haben – und auch Gewerkschaften, die jetzt stärker auftreten. Da zeigt sich, dass die junge Generation ihre Ansprüche selbstbewusst durchsetzt, weil sie weiss: «Ich kann mir morgen einen neuen Arbeitgeber suchen, die Branche wechseln, Quereinsteiger sein.» Es gibt gerade sehr viele Optionen, und das spiegelt sich darin wider, wie die junge Generation auftritt.
Das Gespräch führte Raphael Zehnder.