Angst vor Viren, vor hohen Energiepreisen, vor dem Klimawandel: Was vor Kurzem weit weg schien, ist plötzlich brandaktuell. Mit der Gesellschaft ändern sich auch unsere Ängste, manchmal rasend schnell.
«Ängste sind nicht universell, sondern erlernt und kulturell geprägt. Sie verändern sich ständig, das macht sie so faszinierend», erklärt der Gefühlshistoriker Dr. Frederik Schröer. Dass Ängste sich ständig ändern, zeigt der Blick in die Vergangenheit.
Nehmen wir die 1950er Jahre. «Da war z. B. die Angst vor der Rückkehr des Krieges sehr dominant. Ebenso gab es akute Überlebensängste», so Schröer. In den 1960ern kam die Angst vor dem Kalten Krieg und vor einer atomaren Eskalation dazu.
«Wir wollten keine Angst haben»
Die pensionierte Lehrerin Hanna Hinnen kann sich gut daran erinnern, wie es war, damals aufzuwachsen. Vor allem finanzielle Sorgen seien spürbar gewesen: «Ich war ein armes Kind». Ihr Vater wurde als Verdingbub gross. Diese monetäre Angst hat sie geprägt.
Ein Glück, dass ihre Eltern die Kinder trotzdem fördern wollten. Auch aus der kleinen Hanna sollte etwas werden. Nicht alle haben damals so über Mädchen gedacht. Hanna ging deshalb bald auf die Strasse: gegen den Vietnamkrieg, für das Frauenstimmrecht. «Wir fällten den bewussten Entscheid, keine Angst zu haben. Mutig und frech zu sein. Wir wollten uns trauen».
Die Intelligenz der Angst
Auch wenn die Angst viel Unheil stiften könne, sei sie doch ein äusserst intelligentes Gefühl, meint Schröer. Hören wir auf sie, bringt uns das häufig weiter. «Es gibt viele Dinge, vor denen wir uns fürchten sollten. Manchmal ist es erst die Angst, die sie uns richtig sehen lässt und uns zum Handeln bringt».
Dominant spürbar sei heute die Angst vor Inflation, vor Ressourcenknappheit, vor Krieg. Diese haben andere Ängste wie die vor Corona aus vielen Köpfen verdrängt. «Und über allem schwebt die Angst vor dem Klimawandel», so Schröer.
Die einen nennen die Klimaangst, die in letzter Zeit häufig und kontrovers diskutiert wird, nur heisse Luft. Oder sie sehen darin ein politisches Druckmittel. Für andere ist es eine reale Angst, die vor allem jungen Menschen zusetzt.
Klimaaktivist mit Klimaangst
Manchmal lähme ihn die Klimaangst regelrecht, sagt der sonst sehr aktive Dominik Waser. «Immer wieder ist da ein Gefühl von grosser Trauer. Von Hoffnungslosigkeit.»
Nur schon der Gedanke an die Zukunft mache ihm Angst, so Waser: «Dass nichts mehr sein wird, wie es ist.» Meistens treibe ihn die Angst jedoch an - in der Klimastreikbewegung oder seit Kurzem als grüner Gemeinderat der Stadt Zürich.
Das Schlimmste sei die Ohnmacht, dass nicht schnell genug gehandelt werde. «Man fragt sich dann, warum soll ich überhaupt noch studieren, warum überhaupt was tun, während andere sterben»? Wasers Rezept: Dort anpacken, wo man sich wirklich wirksam fühlt. Wichtig sei auch der Mut, mit anderen offen über seine Ängste zu reden.
Angstgespräche brauchen Mut
«Heute sprechen wir offener über Gefühle und Ängste», räumt Gefühlshistoriker Schröer ein. Häufig riskiere man damit jedoch immer noch, als verweichlicht oder hysterisch zu gelten: «Es braucht immer wieder Mut, um Räume dafür zu schaffen».
Doch nur, wenn über Ängste gesprochen werde, bestehe auch die Chance, dass sie die Menschen und Generationen nicht auseinandertreibe, sondern näher zusammenbringe.