Unter Harry Anslingers Führung wächst die amerikanische Antidrogenbehörde und wird immer einflussreicher. Er steht hinter dem Verbot von Cannabis. So wird der Grundstein für den späteren Drogenkrieg gelegt, den «War on Drugs», der hunderttausende meist schwarze Männer ins Gefängnis bringt und bis heute andauert.
Drogen aus der Apotheke
Harry Anslinger ist das Kind von Migranten. Der Vater ist Schweizer und kommt aus dem Raum Bern, die Mutter stammt aus dem heutigen Süddeutschland. Um dem Militärdienst in der Schweiz zu entgehen, migriert der Vater mit der ganzen Familie in die USA. Dort kommt Harry Anslinger 1892 als achtes von neun Kindern zur Welt. Die Behörde, die er massgeblich prägen sollte, gibt es damals allerdings noch gar nicht.
Im Gegenteil: In der Zeit um die Jahrhundertwende sei noch nicht zwischen Drogen und Medikamenten unterschieden worden, sagt die Historikerin Helena Barop. Sie hat ein Buch zur Geschichte der Drogenverbote geschrieben. Stoffe wie Heroin oder Kokain seien in der Apotheke frei erhältlich gewesen. Doch das beginnt sich in dieser Zeit zu ändern.
Drogengesetze gegen Minderheiten
Im ersten nationalen Drogengesetz der USA wird 1908 das Opiumrauchen verboten. Dass dabei ausgerechnet das Rauchen von Opium als Erstes in den Fokus rückt, hat allerdings nicht nur mit gesundheitlichen Aspekten zu tun. Opiumrauchen ist damals vor allem unter chinesischen Einwanderern beliebt. Eine marginalisierte Gruppe, die in segregierten Chinatowns leben muss und weniger Rechte hat als die Weissen.
Das erste Drogengesetz der USA zielt also direkt auf eine schon marginalisierte Gruppe ab. Es sollte ein Schema werden, das sich durch die Drogenpolitik durchzieht: «Verbote sind oftmals damit verknüpft, wer eine gewisse Substanz konsumiert», sagt Helena Barop. Es gehe um die Kontrolle gewisser gesellschaftlicher Gruppen.
1920 wird in den USA der Konsum von Alkohol verboten. Doch das Verbot wird zum Desaster. Der Konsum steigt, trotz oder gerade wegen des Verbots. Erstmals gewöhnt sich eine breite Masse daran, das Gesetz zu brechen, um gewisse Substanzen zu konsumieren. Das organisierte Verbrechen blüht auf.
Gangster wie Al Capone oder Arnold Rothstein kommen zu grossem Reichtum. Gleichzeitig entstehen riesige Behörden, die mit viel Geld die Kriminalität bekämpfen sollen. Die Zutaten für den späteren Krieg gegen die Drogen sind damit beisammen. Auch Harry Anslinger ist von dieser Zeit geprägt.
Mit Lügen im Kampf gegen Cannabis
Als Harry Anslinger 1930 das Federal Bureau of Narcotics übernimmt, neigt sich die Prohibition bereits dem Ende zu. Es sieht daher nicht gut aus für die neu gegründete Behörde. Drogen sind in den USA kaum verbreitet. Hinzu kommen finanzielle Probleme. Nach dem Börsencrash von 1929 muss die US-Regierung sparen.
Harry Anslinger fürchtet daher um die Zukunft seiner Behörde. «Harry Anslinger reagiert darauf mit einer Angstkampagne», erzählt Historikerin Helena Barop. In einer für diese Zeit neuartigen PR-Kampagne versucht Anslinger, die Öffentlichkeit von der Gefahr einer neuen Droge zu überzeugen: Cannabis.
Gezielt lässt er Falschmeldungen verbreiten: Cannabis soll schuld an Gewaltverbrechen sein. Wer die Droge konsumiert, verfällt unweigerlich dem Wahnsinn. Er vermischt seine Botschaften mit echten Kriminalfällen und spielt diese Zeitungen zu. Für die Verbreitung seiner Botschaft nutzt er auch Kinofilme.
Wie schon beim Verbot des Opiums setzt er dabei auf rassistische Stereotype. Afroamerikaner sollen weisse Frauen mit Cannabis verführen. Mexikaner und Mexikanerinnen würden die Droge aus ihrer Heimat mitbringen. Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker würden mithilfe von Cannabis die Gesellschaft unterwandern.
Und erneut zeigt die Strategie Erfolg: 1937 wird Cannabis per Gesetz verboten. Die Zukunft der Behörde ist gesichert. Doch hier macht Anslinger nicht halt. Immer wieder warnt er vor neuen Gefahren durch Drogen und präsentiert stets seine Behörde als die einzige Lösung des Problems.
Drogenpolitik wird Chefsache
Schritt für Schritt verändert sich so das Wertesystem: Illegale Drogen – egal ob Cannabis, Heroin oder Kokain – werden auf eine Stufe gestellt. Sie werden als elementare Bedrohung von aussen wahrgenommen. Als ebensolche Bedrohung werden auch die Konsumierenden dargestellt: als Kriminelle und moralisch verfallene Individuen. Die Strafverfolgung ist in dieser Logik die einzig mögliche Antwort auf Drogenkonsum.
Anslinger geht 1962 in Pension. Doch er hat den drogenpolitischen Werkzeugkasten für die folgende Drogenpolitik erschaffen. Denn aus den von ihm geprägten Narrativen entsteht ab den 1970er-Jahren der Krieg gegen die Drogen. Ausgerufen wird er 1972 vom damaligen US-Präsidenten Richard Nixon. Er bezeichnet Drogen in seiner Wahlkampagne als Staatsfeind Nummer eins. Das Thema wird zur Chefsache.
Gesetze werden verschärft, die Polizei wird kontinuierlich mit mehr Mitteln ausgestattet. Systematisch werden auch die Kontrollen ausgebaut. Allerdings in erster Linie in jenen Gegenden, wo mehrheitlich Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen leben.
Eine Politik, die die Gefängnisse füllt
Wenn über alle Gesellschaftsschichten hindurch Drogen konsumiert werden, aber nur ein Teil der Gesellschaft kontrolliert wird, dann seien die Folgen für jene Menschen verheerend, sagt Helena Barop. Hunderttausende, meist afroamerikanischer Männer, landeten daraufhin für kleine Drogendelikte im Gefängnis.
Der «War on Drugs» wird von Nixons Nachfolger weitergeführt und sogar intensiviert. Dabei muss er als gescheitert betrachtet werden: Trotz anhaltender Bemühungen konsumieren immer mehr Menschen illegale Substanzen. Süchtige werden durch die Kriminalisierung noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die Verelendung nimmt zu, statt ab.
Dass der Krieg gegen die Drogen trotz allem weitergeführt wird, liege an den sehr eingängigen Geschichten, die Anslinger in die Welt gesetzt hat: «Geschichten, die mit Angst zu tun haben. Mit Elend, und dass die Betroffenen selbst schuld sind», sagt Helena Barop. Hinzu komme ein Unwille, sich mit den tieferliegenden, gesellschaftlich bedingten Ursachen von Abhängigkeitserkrankungen zu beschäftigen.
Ein Credo, das bis heute fest in den Köpfen vieler Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen verankert ist und nur langsam aufbricht.