Seit Kim de l’Horizon am Montag den deutschen Buchpreis gewann, ist es offensichtlich: Uns fehlen die Worte, um über non-binäre Personen zu reden. Wie spricht man mit oder über Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren – und was sollte man vermeiden? Eine non-binäre Person plädiert für einen spielerischen Umgang mit Sprache.
SRF: Sie sind non-binär, erleben sich also nicht als Mann oder Frau. Wie soll man Sie ansprechen?
Luca Koch: Es kommt auf den Kontext an. Wenn wir privat unterwegs sind, können Sie «lieb Luca» sagen – aber nicht «lieber» oder «liebe». Im formalen Kontext könnte es «sehr geehrtes Luca Koch» sein.
Meine Freunde benutzen das «Es»-Pronomen für mich. Dieses «Es» wird in der non-binären Community jedoch auch als provokant wahrgenommen.
Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft, dass wir nach dem Pronomen fragen würden.
«Liebes Luca Koch» klingt versächlichend. Ist das nicht herabwertend?
Das sehe ich nicht so. Wir haben ein Neutrum in der deutschen Sprache. Es wird zwar für Tiere und Sachen benutzt, aber es ist ein neutraler Begriff.
Man kann damit meine Identität nicht hinterfragen. So wie man sagt: «Es regnet», kann man auch über mich sprechen und sagen: «Es singt, es komponiert, es lebt.»
Genau der Punkt macht viele sprachlos: Wenn es sich nicht um eine direkte Ansprache handelt, sondern man über jemanden redet. Also wenn «er» und «sie» nicht greifen und «seine» beziehungsweise «ihre» unzulänglich werden. Welche Form ist dann angebracht?
Es kommt auf die Person an. Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft, dass wir – genauso wie wir nach dem Namen fragen – auch nach dem Pronomen fragen.
Sprache kann so viel spielerischer und kreativer sein und gleichzeitig in ihrer Verspieltheit sehr korrekt.
Es gibt viele Lösungen: Es gibt das «hen»-Pronomen, es gibt das Pronomen «xier». Und dann gibt es auch Personen, die kein Pronomen für sich benutzen.
Sie fordern demnach, dass wir immer hinterfragen, wer welches Geschlecht hat – ohne vorherige Zuschreibung?
Ich fände es schön, wenn wir auf neutralem Boden starten, bis man die Person kennt und fragen kann: «Wie identifizierst du dich?» Man kann nicht von einem Kleid oder einem Bart auf ein Geschlecht schliessen.
Ich schreibe zum Beispiel in meinem Kontaktbuch auf dem Handy hinter jeden Namen auch das zugehörige Pronomen.
Der «Verein für geschlechtsneutrales Deutsch» schlägt vor, «en» für «er» und «sie» und «ensen» für «ihren» und «seinen» zu benutzen. Was halten Sie von einer solchen Sprachregulierung?
Sprache ist vielfältiger als das. Für mich ist es kein Problem, wenn meine Freundinnen und Freunde das Pronomen «er» benutzen, dann aber sagen: «Kennst du Luca? Er ist Sängerin.» Sprache kann so viel spielerischer und kreativer sein und gleichzeitig in ihrer Verspieltheit sehr korrekt.
Verletzt es Sie, wenn Sie mit geschlechtsspezifischen Zuschreibungen angesprochen werden?
Bis zu meinem 20. Lebensjahr wurde ich als Junge beziehungsweise Mann sozialisiert. Deswegen ist mir das «Er»-Pronomen nicht fremd. Es verletzt mich nicht, wenn das jemandem einmal rausrutscht. Das ist verständlich. Ich misgendere mich auch manchmal selbst.
Was wünschen Sie sich in der Begegnung mit anderen Menschen?
Dass viel über das Thema gesprochen wird und man nicht aufgrund diverser Merkmale auf Geschlechter schliesst. Ich habe eine tiefe Stimme und werde wahrscheinlich von den Lesenden männlich gelesen.
Das sollte man aufbrechen. Wir sollten mehr reflektieren und uns selbst hinterfragen: Warum habe ich diese Person der Kategorie «Mann», «Frau» oder «non-binär» zugeordnet?
Das Gespräch führte Noëmi Gradwohl.