Der Friedensnobelpreisträger und Pfarrerssohn Albert Schweitzer war in erster Linie Mediziner. Und so kennen wir ihn: als Mann mit weissem Schnauzbart, Fliege und Tropenhelm, der in Gabun, damals Französisch-Äquatorialafrika, unermüdlich Gutes tat.
Zu liberal für einen Missionar
Albert Schweitzer war bekannt für seine liberalen Ansichten in Glaubensfragen und machte keinen Hehl aus seinen Überzeugungen. Die Pariser Mission, für die er nach Afrika ging, erklärte ihm wohl deshalb sehr deutlich, dass er nicht als Missionar unterwegs sei, sondern nur als Arzt. Schweitzer war das recht: die Angst der Mission vor seiner Offenheit liess ihn das tun, was er wirklich wollte: den Menschen helfen.
Und so brach er auf, um mit der Unterstützung seiner Ehefrau und von Freunden am Ogooué-Fluss in Gabun die Urwaldklinik Lambarene zur Erforschung und Behandlung von Tropenkrankheiten zu gründen.
Alles im Namen der Sache
Schweitzer war neben seiner Arbeit als Arzt, promovierter Theologe und Philosoph, sogar Organist und Bachinterpret. Parallel zu seiner Tätigkeit in Lambarene publizierte er seine theologischen, philosophischen und musiktheoretischen Ansichten, sowie Autobiographisches und erlangte damit grosse Aufmerksamkeit. Geistige Reibung und Inspiration suchte er sich etwa bei Albert Einstein, Jean-Paul Sartre, Max Planck, Martin Buber oder Karl Jaspers, mit denen er regelmässig korrespondierte.
Um die von ihm aufgebaute Klinik in Lambarene finanzieren zu können, hielt er in Europa und Amerika Vorträge und gab Orgelkonzerte, die ihm grossen Ruhm und der Klinik einen steten Geldfluss einbrachten. Er selbst blieb bescheiden und treu seinem Credo der «Ehrfurcht vor dem Leben», das er nicht nur auf Menschen bezog: «Meine Ansicht ist, dass wir, die für die Schonung der Tiere eintraten, ganz dem Fleischgenuss entsagen und auch gegen ihn reden. So mache ich es selber.»
Konsequent oder einfach stur?
Diese Treue zu seinen Überzeugungen verursachte auch manche Probleme. In der Zeit des kalten Krieges sprach er sich gegen das atomare Wettrüsten aus und riskierte damit, dass weniger Geld für seine Klinik gespendet wird.
Aber das Dorf und die Klinik Lambarene stehen noch immer - 100 Jahre nach der Gründung und fast 50 Jahre nach dem Tod Albert Schweitzers.
Immer wieder wich die Verehrung Albert Schweitzers der Kritik: André Audoynaud, ärztlicher Direktor des Hôpital Administratif in Lambarene von 1963 bis 1966, warf ihm vor, er sei dem 19. Jahrhundert verhaftet geblieben und habe Lambarene mit strengem kolonialem Führungsstil geleitet. Hygienischen und technischen Fortschritt habe er nicht geduldet. Diese Kritik konnte mangels Augenzeugen nur teilweise widerlegt werden.
Lambarene heute
Fritz von Gunten ist Projektkoordinator für die Schweizer Jubiläumsfeierlichkeiten «100 Jahre Urwaldspital Lambarene». Er hat den Ort kürzlich besucht und stellt fest, vieles ist noch wie zu Schweitzers Zeit: Die typischen eingeschossigen Gebäude etwa, die inzwischen mehrfach saniert wurden, und das internationale Ärzte- und Pflegepersonal, das für eine hohe Qualität und Zuverlässigkeit bürgt.
Im Unterschied zu den Anfängen leben heute in der Siedlung, zu der Lambarene gehört, 1500 Menschen. Die Urwaldklinik ist längst ein grosses Krankenhaus geworden, das zu den 22 staatlichen Krankenhäusern des Landes Gabun gehört. Finanziert wird das Krankenhaus zwar noch immer zu einem Drittel vom Schweizer Albert Schweitzer Hilfsverein, doch zwei Drittel der Kosten trägt der gabunische Staat.
Albert Schweitzers Erbe ist beeindruckend und noch heute, Jahrezehnte nach seinem Tod, wird er für sein Werk geehrt. 2009 kürte ihn das Life Magazine zum «Greatest Man of the World». Ob er das auch so gesehen hätte, ist zu bezweifeln. Er sah seine Aufgabe im Vordergrund, nicht seine Person.