Christian Ritter und Ute Holfelder sprachen auf der Strasse Jugendliche auf ihren Gebrauch von Handyfilmen an und stiessen zunächst auf Ablehnung: «Die Jugendlichen wiegelten ab, sagten, sie hätten nichts Böses getan. Dabei wollten wir nur wissen, ob sie mit dem Handy filmen und was sie filmen. Wir wurden aber nicht wie interessierte Forscher, sondern eher wie Polizisten behandelt.»
Negatives Bild in Medien und bei Erwachsenen
Diese Abwehrreaktion führen die beiden Forscher vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft auf das schlechte Image von Handyfilmen in der Gesellschaft zurück.
Spontan filmende Jugendliche stünden unter Generalverdacht, weil viele Menschen bei den Stichworten Jugend und Video oft automatisch an Fälle von Happyslapping oder Cybermobbing denken würden.
Von der Vielfalt positiv überrascht
Diese Art, die Handykamera zu nutzen, ist allerdings die Ausnahme. Viel eher filmen die Jugendlichen Szenen aus ihrem Alltag, die sie mit Freunden teilen wollen. Oder sie möchten besondere Momente festhalten, zum Beispiel ein Konzert oder Spass im Ausgang. «Spannend war für uns vor allem, wie vielfältig die Videos waren. Von spielenden Katzen bis Sprünge auf dem Snowboard ist alles dabei.»
Den Jugendlichen scheint grundsätzlich alles filmenswert, das beim Gegenüber eine Reaktion hervorruft: Lachen, Staunen, Neid, Unglauben. Dementsprechend wichtig ist es ihnen, jemandem das Video zu zeigen oder ein Feedback zum Beispiel via WhatsApp zu erhalten.
Dabei geht es natürlich darum, sich selber zu spiegeln und in der Gesellschaft zu verorten, sich als Performer betrachten zu können und mit anderen darüber zu sprechen und zu scherzen.
Oder sie nutzen den Film, um sich zu verbessern: Ein Fehler beim Sprung mit dem Snowboard kann im Film erkannt und im Training korrigiert werden.
Den Alltag verarbeiten mit Witz ...
300 Filme werteten Christian Ritter und Ute Holfelder aus. Die Videos erhielten sie von Jugendlichen auf der Strasse und von Schülern und Schülerinnen der Berufsfachschule Baden, die ihnen auch in Interviews Rede und Antwort standen.
Der Humor spielt in den Filmchen eine wichtige Rolle, wie die Forschenden herausfanden: «Dass die Filme humorvoll sind liegt auf der Hand. Die Handyfilme sind kurz und wollen trotzdem eine Art Geschichte erzählen, so reihen sie sich in die Tradition des Slapsticks, des Streichs und des Witzes ein.»
... und künstlerischem Anspruch
Die Filme sind als laut den Forschenden nicht nur Blödelei, sondern haben in gewissen Fällen durchaus eine Art künstlerischen Anspruch.
So haben Ritter und Holfelder die Videos auch mit Vorbildern aus der Film- und Fotogeschichte verglichen und festgestellt, dass da sehr oft Bezüge hergestellt werden, zum Beispiel mit einer spezifischen Kameraführung.
Es sei begrüssenswert, wenn Jugendliche ihren Alltag kreativ, mit Hilfe unterschiedlicher Medien bewältigen würden, sagt Ute Holfelder.
Das eigene Medienhandeln einordnen
Um noch mehr Bewusstsein in diese alltägliche Praxis zu bringen, verarbeiteten die Forscher ihre Erkenntnisse in einem Buch und in einer Wanderausstellung, die diese Woche im Generationenhaus in Bern eröffnet hat. Sie sollen den Dialog zwischen Jugendlichen und Erwachsenen fördern, damit die Erwachsenen die Handyfilme als Art der Kommunikation, als Ausdrucksform und als Mittel zur Persönlichkeitsdarstellung ernst nehmen.
Und die Jugendlichen? Von ihnen wünschen sich die Forscher ein Bewusstsein für das Medium Film mit seinen unzähligen Möglichkeiten. Medienkompetenz, sagt Christian Ritter, sei es schliesslich auch, das eigene Medienhandeln als Teil der Medienkultur und der Gesellschaftsgeschichte einordnen zu können.