- Im deutschen Bad Hersfeld hat ein Familienfreund über ein Jahr zwei Mädchen über Whatsapp sexuell belästigt. Die ältere Tochter hat Anzeige erstattet.
- Das Gerichtsurteil besagt nun: Um das Kindeswohl zu schützen, solle der Vater nicht nur den Kontakt zu dem übergriffigen Familienfreund unterbinden, sondern auch WhatsApp von den Smartphones seiner Töchter löschen.
- Das sei ein schreckliches Signal, findet FAZ-Redaktorin und Autorin Melanie Mühl.
Melanie Mühl, Sie kennen die Lebenswelt der Fünfzehnjährigen. Was bedeutet so ein Gerichtsurteil für die beiden Mädchen?
Für die Mädchen bedeutet das Gerichtsurteil verordnete Isolation. Sie werden damit komplett von ihrem Freundeskreis abgeschnitten, weil die Kommunikation zu einem ganz grossen Teil über Whatsapp läuft.
Wieso ist Whatsapp für Jugendliche so wichtig?
Die App ist eine Art Nabelschnur, an der man hängt. Man tauscht sich permanent über Befindlichkeiten und mehr oder weniger wichtige Sachen aus. Ohne diesen Kommunikationskanal ist man tatsächlich ausgeschlossen, als wäre man früher einfach nicht beachtet worden.
Der Gerichtsbeschluss zielt aus Ihrer Sicht also an den Realitäten vorbei?
Für mich zeigt der Beschluss eine gewisse Form von Technikfeindlichkeit: Smartphones sind böse, Whatsapp ist böse – aber so einfach ist unsere Welt eben nicht.
Wenn 99 Prozent aller Jugendlichen diese App benutzen – und die Zahlen sind so hoch – dann ist es einfach brutal Mädchen, die sowieso schon Opfer sind, quasi zum zweiten Mal zu Opfern zu machen.
Birgt das Chatten auf Whatsapp keine Gefahren?
Die App ist nicht gefährlich. Es ist eine Form der Kommunikation, wie Telefonieren – und Telefonieren ist auch nicht gefährlich. Natürlich wird es gefährlich, wenn bestimmte Inhalte verschickt werden. Wenn Jugendliche gemobbt werden, wenn es zu einem Instrument der Brutalität missbraucht wird. Dann wird es gefährlich und dann muss man einschreiten.
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Wie einschreiten? Sollen Eltern die Smartphones ihrer Kinder kontrollieren?
Nein. Auf dem Smartphone sind Videos, Nachrichten und Fotos, das wäre wie Tagebuchlesen. Natürlich ist es wichtig, Kontrolle zu haben, aber vielleicht eher so, dass man sagt: Ab 19 Uhr oder 20 Uhr ist Ruhe, da wird nicht kommuniziert, sondern ein Buch gelesen und nachts wird das Handy ausgeschaltet. Eine Komplettüberwachung, zum Beispiel Ortungssysteme installieren, davon halte ich überhaupt nichts.
Sie sprechen von Grenzen. Wie aber können Eltern ihre Kinder vor Cybermobbing oder vor Belästigung schützen?
Erstmal ist Aufklärung enorm wichtig. Eltern sollen die Art der Kommunikation ihrer Kinder ernst nehmen und ein Vertrauen aufbauen. Kinder sollen immer das Gefühl haben – besonders da in dem Alter alles schambesetzt ist – dass wenn etwas passiert, sie einfach zu ihren Eltern gehen können und nicht Angst haben müssen, ihnen wird das Handy weggenommen.
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Und gegen Cybermobbing kann man direkt nichts tun?
Einen Schutz gegen Mobbing gibt es nicht, so wie es den früher auch nicht gab. In der Schule wurde man auch gemobbt und konnte quasi nichts dagegen tun, ausser vielleicht zu versuchen, Lehrer oder Eltern zu involvieren.
Genauso ist es heute auch, nur das Mobbing brutaler geworden ist und schneller grössere Kreise zieht. Heute kann man die Kindertür nicht zu machen, es wird immer virtuell weitergemobbt, aber das Virtuelle ist eben auch das Reale. Insofern gibt es diese Grenze gar nicht mehr.
Das Smartphone ist zwar ein Gerät, aber es steht für so viel mehr. Es hat einen unglaublichen Stellenwert und ich glaube dieser Stellenwert wird von Erwachsenen oft unterschätzt.
Unterschätzt und verteufelt zugleich.
Genau. Das zeigt auch dieser Gerichtsentscheid: Wenn sich jemand traut, die Person von der man sexuell belästigt worden ist, anzuzeigen und die Konsequenz die verordnete Isolation ist – dann ist das ein schreckliches Signal. Auf Offenheit und Mut, die eigene Scham zu überwinden, folgt Isolation. Ich finde das extrem gefährlich und hoch problematisch.