Ich möchte gerne ein Gedankenspiel wagen: Wenn ich in zehn Jahren ins Museum gehe, wird es die klassische Vitrine mit dem Objekt und der Texttafel noch geben?
Daniele Turini: Ja, die wird es noch geben, da bin ich mir sicher. Das ist auch das Sinnliche, das einen Museumsbesuch rechtfertigt. Ich glaube allerdings, dass man rund um dieses Objekt eben noch viel mehr wird erleben können. Dass es durch digitale Medien sinnvoll erweitert ist. Man kann sich etwa nicht nur über dieses Objekt informieren, sondern vielleicht sogar Wissen abgeben. Durch Projektionen wird das Objekt ergänzt und durch spielerische Handlungen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Ich glaube, dass in Zukunft das Digitale und das Analoge im Museum im Wechselspiel funktionieren.
Das Online-Spiel «Basel 1610» ist ein Schritt in diese Richtung. Welche Inhalte können mit einem solchen Spiel vermittelt werden, die bisher nicht vermittelt werden konnten?
Der Merianplan ist eine der bedeutendsten Stadtkarten von Basel, die aber gerade bei der jüngeren Bevölkerung mehr und mehr an Bedeutung verliert. Um das Jahr 1610 ist nicht nur diese Karte entstanden, sondern auch eine Pestepidemie ausgebrochen. Die vielen Geschichtsstränge und Ereignisse zu dieser Zeit lassen wir durch dieses Game aufleben. Der Besucher bewegt sich mit dem jungen Arzt Konrad durch die Stadt Basel und bringt spielerisch die Stadtgeschichte in Erfahrung.
Mit Projekten wie «Basel 1610» versucht das Historische Musem Basel die sogenannte «Digital Audience» anzusprechen. Wer ist damit gemeint?
Die digitalen Medien beeinflussen die Alltagskultur heute sehr stark. Dadurch ist eine gewisse Erwartungshaltung vorhanden, vor allem auch bei nicht typisch museumsaffinen Besuchern. Sie beschaffen sich Informationen auf eine andere Art, als es im Museum bisher möglich war. Für sie versuchen wir neue Zugänge zu schaffen. Aber digitale Medien haben auch Vorteile für Menschen, die bereits regelmässig Museen besuchen.
Zum Beispiel?
Ich denke beispielsweise an Multimedia-Tische: Hier verbindet sich durch den Touchscreen das Wissen mit dem Haptischen. Gleichzeitig kann man dort sehr viele mehr Information übergreifend lagern und abrufen, als es analog möglich wäre. Etwa mit einer Texttafel.
In Grossbritannien gibt es bereits «Augmented Reality»-Projekte, bei denen Museumsbesucher mithilfe einer speziellen Brille etwa in Urzeit-Welten eintauchen können. Sind solche Technologien auch in der Schweiz vorstellbar?
Unbedingt. Augmented Reality bietet enorm viele Möglichkeiten, ich halte diese Technologie für sehr zukunftsweisend. Für das nächstjährige Projekt «Erasmus MMXVI» setzt auch das HMB erstmals darauf: Auf fiktiven Pfaden kann der Besucher dort das Gedankengut von Erasmus, eingebettet in eine Augmented-Reality-Erzählung, erfahren. Auch hier sehe ich das Ko-Existieren des Analogen und des Digitalen als Schlüssel – es funktioniert eben sehr gut, das eine mit dem anderen zu verbinden.
Früher war es Kernaufgabe eines Museums, kulturelle Schätze zugänglich zu machen. Mit Gamification und digitalem Storytelling bewegt man sich Richtung Infotainment, also einer Mischform aus Information und Unterhaltung. Wird dadurch nicht die Komplexität der Themen heruntergebrochen?
Diese Feststellung ist sicherlich richtig, ich sehe das aber nicht als etwas Negatives. Ich glaube das Herunterbrechen von Informationsgehalt ist wichtig, wenn man neue Museumsbesucher gewinnen will. Es gibt Kollegen, die von einer Banalisierung des Kulturerbes reden. Ich sehe es eher so, dass Museen in Zukunft nicht um die Frage herumkommen, wie sie Informationen so aufbereiten, dass es für das Publikum attraktiv ist.
Sendung: Radio SRF 1, Regionaljournal Basel, 15.12.2015, 17:30 Uhr