Wer kommt zu Ihnen, Anna Gamma?
Ich begegne vielen Führungskräften, die erfolgreich sind, aber spüren, es fehlt etwas Essentielles.
Was fehlt?
Es geht um die Fragen: Warum bin ich da? Welches ist meine Aufgabe? Was ist der Sinn meines Lebens? Und es gibt Menschen in Krisensituationen, die sich eingestehen, ich bin so oft zerstreut. Sie fragen: Wie kann ich meine Konzentrationskraft wiedererlangen und schulen?
Muss ich den Sinn des Lebens kennen, um Menschen zu führen?
Wirkliche Leader sind jene Führungskräfte, die sich selber führen können. Wenn man nicht eine gewisse Orientierung in sich selber hat, wenn man um den Sinn des Lebens nicht weiss, kann man anderen Menschen keine Orientierung geben.
Wie vermitteln Sie den Sinn des Lebens?
Der Sinn des Lebens zeigt sich immer wieder neu. Er lässt sich nicht vermitteln. Die Menschen finden ihn in sich selber. Nur das hält in stürmischen Zeiten. Es geht darum, in einen Bewusstseinszustand einzutauchen, wo man die grossen Fragen des Lebens aushält und langsam in die Antworten hinein wächst. Andere müssen sich mit Grundthemen auseinandersetzen, die sie herausfordern.
Ich arbeite zum Beispiel gerade mit einer Führungskraft, die immer wieder von Hassattacken überflutet wird, beim Joggen oder unter der Dusche. Der Betroffene hat diese Ausbrüche als menschliche Regung erst einmal anzunehmen. Er kann dann in Teamsitzungen oder in Meditationsgesprächen sehr wirksam sein, wenn er diese Tendenzen in sich selber verwandelt hat.
Warum ist Achtsamkeit in einer Führungsposition wichtig?
Wenn wir unachtsam sind, machen wir Fehler. Wir sind unproduktiv und ineffizient. Wir sind am effektivsten, wenn wir mit Körper, Geist und Seele präsent sind.
Reduziert Meditation Stress?
An vielen renommierten Universitäten wird die Effizienz und Effektivität von Meditationspraktiken erforscht. Es ist erwiesene Tatsache, dass Menschen, die regelmässig meditieren, gesünder bleiben und entspannter und gelassener sind. Das sind auch nützliche Qualitäten für ein Unternehmen.
Das ist die positive Nachricht. Haben Sie aber nicht Angst, dass Meditation zum Schmiermittel für eine immer effizientere Leistungsgesellschaft wird?
Ja, das ist die Kehrseite. Trotzdem habe ich aber weniger Angst. Ich bin geprägt von der Zen-Praxis. Menschen, die den Weg in einer gewissen Regelmässigkeit nach innen gehen, werden eigenständig. Je mehr man sich mit der eigenen Tiefe verbindet, desto weniger wird man wie ein blökendes Schaf mit der Herde gehen können. Ich sage den Leuten, die den Zen-Weg wählen: Du brauchst Mut, du musst die Autobahn deiner Gedanken und Vorstellungen verlassen, du wirst Freunde verlieren, weil du es plötzlich langweilig findest, oberflächliche Gespräche zu führen. Du wirst aber auch neue Freundschaften gewinnen.
Wie beurteilen Sie den aktuellen Achtsamkeits-Boom?
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Ich finde das wunderbar. Viele Führungskräfte outen sich ungern, was ihre spirituelle oder religiöse Orientierung betrifft. Die Achtsamkeitspraxis ist für Führungskräfte ein sanfter Einstieg. Jon Kabat-Zinn ist Mediziner und erreicht grossartige Ergebnisse mit Burn-out- oder Herzinfarkt-Patienten. Kabat-Zinns Achtsamkeitspraxis und verschiedene Meditationspraktiken aus dem Osten kommen undogmatisch daher. Sie geben dem freien Geist gute Nahrung. Aber im Verhältnis zur Achtsamkeitspraxis ist Zen schlicht Spitzensport.
In Ihren Angeboten finden sich sowohl christliche Gottesdienste als auch Zen-Meditation. Ist das kein Widerspruch?
Nein, absolut nicht. Ich bin sehr katholisch aufgewachsen. In der Pubertät, in den 1968er-Jahren habe ich mich von der Kirche abgekehrt, das war für mich als Frau nicht tragbar. Später habe ich durch eine persönliche Krise wieder angefangen, mich mit spirituellen Fragen auseinanderzusetzen. Ich habe mich dann gleichzeitig auf Zen-Meditation und christlicher Kontemplation eingelassen. Ein Zen-Meister in Honolulu hat mir einmal gesagt: «Wir tragen die Samen aller Religionen in uns und wir fühlen uns zu denjenigen zugehörig, die wir bewässern.»