Arman Riahi, als Filmemacher haben Sie Aktivisten in Syrien, im Iran, in Spanien und in den USA mit der Kamera begleitet. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder der Proteste in Hong Kong sehen?
Arman Riahi: Die Bilder aus Hong Kong motivieren mich, sie stimmen mich positiv. Wichtig ist, dass die Menschen in Hong Kong jetzt dran bleiben. Und dass sie zeigen, dass sie mitzureden haben, wenn es um ihre Freiheit geht.
Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen der Bewegung in Hong Kong und anderen, die Sie porträtiert haben?
In Hong Kong ist es ähnlich wie bei der Gezi-Bewegung in der Türkei: Aufgrund eines akuten Problems gehen die Menschen auf die Strasse. In Hong Kong sind es die anstehenden Wahlen, in der Türkei war es das Abreissen des Gezi-Parkes. Da ist die Beteiligung der Menschen gefragt. Doch: China wird nicht so schnell nachgeben.
Die Aktivisten in Hong Kong müssen durch Internet und Soziale Netzwerke ihren Protest sichtbar machen. Bilder müssen geteilt werden. Nur so sieht man, dass die Menschen in Hong Kong friedlich protestieren, und dass sie dennoch von der Polizei brutal niedergeschlagen werden. So entsteht Solidarisierung. Und dann gehen noch mehr Menschen auf die Strasse.
Die «Regenschirm-Bewegung»
Sprechen wir über dieses Sichtbarmachen, über die Symbolik der Bilder: Wir sehen seit Tagen Demonstranten mit Regenschirmen. Anfänglich waren sie als Schutz vor Tränengas und Pfefferspray gedacht. Jetzt sind sie zum Symbol der Bewegung in Hong Kong geworden. Man spricht sogar schon von der «Regenschirm-Bewegung». Was lösen diese Bilder bei Ihnen aus?
Sie kennen die Legende von David gegen Goliath: Es ist letztlich nicht die grosse, brutale und explosive Waffe, die den gewaltlosen Widerstand ausmacht und Angst zu erzeugen vermag. Etwas ganz anderes sollte Angst erzeugen: nämlich die Macht des Volkes, die Macht eines verbindenden Protestes. In diesem Zusammenhang ist der Regenschirm ein sehr gutes Bild. Er ist etwas sehr Alltägliches, er erweckt Sympathien beim Volk und bei den Menschen, die zusehen.
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Bewegungen suchen nach ikonographischen Bildern, mit denen sie sich Gehör verschaffen können. Bei der Occupy-Bewegung in New York war es der geniale Slogan «Wir sind die 99 Prozent», beim Gezi-Protest war es die friedlich spazierende Frau, die von der Polizei mit Pfefferspray attackiert wird. Das sind alles Bilder, die aus dem Moment heraus entstehen und sehr wichtig sind: Denn sie sind das Symbol der Bewegung.
Die Menschen brauchen eine Vision
Sie haben die Gezi-Proteste erwähnt. Und Sie nehmen auch in Ihrem Film «Everyday Rebellion», der zurzeit in den Schweizer Kinos läuft, die Haltung ein, dass man mit gewaltlosem Widerstand etwas erreichen kann. Die Bewegung in der Türkei ist sang- und klanglos untergegangen. Welchen Ausgang prophezeien Sie der Bewegung in Hong Kong?
Die Gezi-Bewegung hat zwar nicht den Präsidenten Erdoğan gestürzt. Die Gezi-Bewegung war aber auch nicht so lange aktivistisch tätig, um wirklich einen Wechsel bewirken zu können. Hingegen ist in Ägypten schon Jahre vorher viel Aktivismus da gewesen, da wurde viel Vorarbeit geleistet. Es gibt keinen spontanen, erfolgreichen, gewaltlosen Widerstand. Die Menschen in Hong Kong dürfen nicht erwarten, dass sich, nur weil sie sich auf die Strasse setzen, plötzlich alles verändern wird. Sie brauchen eine Vision, sie brauchen das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit, sie müssen hartnäckig und clever sein.
Wichtig ist, dran zu bleiben, Methoden zu entwickeln, trotz Rückschlägen nicht aufzugeben. Sie müssen wissen, wie man die Idee des Widerstandes und der Gewaltlosigkeit in der Bevölkerung anbringt. Dann ist der Protest auch nicht umzubringen.
Sendung: Kultur kompakt, SRF 2 Kultur, 20.10.2014, 06.45 Uhr.