Wir verwenden keine Waschmittel mehr mit Phosphaten, kaufen keine Kühlschränke, die FCKW enthalten, und vermeiden Plastik aller Art. Wir trennen Müll und haben auch Lärm als akustischen Müll erkannt. Da ist es eigentlich naheliegend, ebenso das Licht auf Nutzen und Schaden zu untersuchen. Schliesslich ist nichts Menschengemachtes so sichtbar und allgegenwärtig wie Licht.
Ein neues Wort: Lichtverschmutzung
Unsere Städte sind heute rund tausendmal heller als zu vorindustriellen Zeiten. Weltweit nimm das künstliche Licht immer noch zu, zwischen drei und sechs Prozent pro Jahr. Ist es da nicht einleuchtend, dass auch Licht im Übermass schädlich auf Organismen wirkt, die sich Jahrmillionen vor dem elektrischen Licht entwickelt haben? So erscheint es im Nachhinein seltsam, dass wir erst so spät ein Bewusstsein dafür entwickelt haben.
Etwa ein Drittel aller Wirbeltiere und fast zwei Drittel aller wirbellosen Tiere sind nachtaktiv. Jeder kennt die von Insekten umschwirrten Strassenlaternen – doch diese sind nicht die Bestimmung der Insekten. Sie sind vielmehr in die Irre geleitet vom künstlichen Licht. Das Gleiche gilt für Zugvögel, die auch mittels Licht navigieren und von den Lichtglocken über grossen Städten regelmässig fehlgeleitet werden. So wird das verschwenderisch in den Nachthimmel gestrahlte Licht zu einer tödlichen Falle für Tiere. Doch die Vokabel «Lichtverschmutzung» ist noch nicht sehr alt.
Krebsrisiko für Menschen
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Selbst für die Wissenschaft ist die schädliche Wirkung von zu viel Licht eine relativ junge Entdeckung. 1980 zeigte der Biostatistiker Richard Stevens in einer Studie, dass der menschliche Körper in der Nacht weniger Melatonin produziert, wenn künstliches Licht eingeschaltet ist. Der Botenstoff spielt eine Rolle bei der Reparatur von DNA-Schäden. Ist weniger Melatonin im Körper, können weniger DNA-Schäden repariert werden. Damit steigt das Krebsrisiko.
Kein Wunder, dass wir so spät die Schattenseite des Lichts bemerkt haben. Seit der Zeit, als das Feuer den Menschen Wärme und Schutz spendete, verehren wir das Licht und fürchten das Dunkel. Das Christentum spricht vom Licht Gottes und der Finsternis der Hölle. Andere Weltreligionen gebrauchen ganz ähnliche Metaphern.
Elektrisches Licht bedeutet Fortschritt
Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts traten an, Glauben durch Wissen und Aberglauben durch Vernunft zu ersetzen. Schliesslich ist Aufklärung selbst eine Lichtmetapher: ein auf Klärung zielender Prozess im Kampf des Lichts der Vernunft gegen die Mächte der Willkür und Finsternis.
Mit der Erfindung des elektrischen Lichts sah es dann ganz finster aus für die Finsternis: 1881 lagen Pläne vor, ganz Paris mittels eines Sonnenturmes von der Nacht zu befreien. Ähnliche Pläne gab es in Amerika, und in beiden Fällen scheiterten sie nur aus technischen Gründen. Die zunehmende Elektrifizierung, die Erfindung des Neonlichts – das alles führte zu immer mehr Licht.
Räumlichkeit durch Licht und Schatten
Ein Umdenken setzte erst in den 1990er-Jahren ein, als Lyon den ersten «Plan Lumière» umsetzte. Andere Städte folgten, bald auch in der Schweiz. Das nächtliche Stadtbild sollte einladend für Besucher sein und die Bewohner nicht stören. Das hiess auch Licht weglassen, wo es unnötig ist. Wo allein Helligkeit ist, verschwinden die Konturen. Erst wenn Licht und Schatten zusammenspielen entsteht Räumlichkeit. Architektonisch interessante Gebäude, die vorher mit riesigen Scheinwerfern bestrahlt wurden, kamen mit weniger Licht viel besser zur Geltung.
Doch es gibt auch Widerstand: Manche Menschen setzen mehr Licht mit mehr Sicherheit gleich. Manche Ladenbesitzer halten noch immer das hellste Schaufenster für das attraktivste. Zürich hat die erste Phase seines «Plan Lumière» bereits umgesetzt. Luzern ist auf dem gleichen Weg. Es ist aber noch viel Aufklärung nötig, bis allen in Sachen Licht ein Licht aufgeht.