Amerikanische Hightech-Firmen haben kürzlich angekündigt, den Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen zu finanzieren, um ihre Karriere zu befördern. Kommt das für Sie überraschend?
Die Tatsache, dass Unternehmen in den USA das Eggfreezing mit in ihre Sozialpakete nehmen, ist nicht neu. In elitären amerikanischen Rechtsanwaltskanzleien gibt es das schon seit mindestens zwei Jahren. Darüber hat nie jemand berichtet. Da muss man sich schon fragen, warum ausgerechnet diese Nachricht einen solchen Medienrummel in Europa ausgelöst hat.
Laut einer Umfrage der «Zeit» sind vor allem junge Menschen offen für das Social Freezing.
Die Technologie ist tatsächlich etwas Verheissungsvolles. Es gibt ja diese Ungerechtigkeit der Geschlechterordnung: Man hört ständig von Vätern über 50, die sich scheiden lassen und nochmals Kinder bekommen, Stichwort «second family». Das ist gesellschaftlich völlig etabliert und normal. Dass es nun eine Technologie gibt, die den Frauen verspricht, diese Ungerechtigkeit zu beheben – nämlich dann Mutter zu werden, wenn sie es wollen – ist eine emanzipatorische Technologie.
Es gibt die Angst, dass das Eggfreezing den Mann ganz aus der gemeinsamen Familienplanung herausdrängt.
Das Einfrieren von Eizellen stärkt eindeutig die Position der Frauen. Sie brauchen zur Familiengründung unter Umständen nur noch eine Samenprobe aus der Samenbank, die sie mit ihrer gefrorenen Eizelle verbinden.
Die Samenspende gibt es schon länger, sie ist gesellschaftlich besser akzeptiert als die Techniken rund um die Eizellenspende und Leihmütter. Warum ist das so?
Das war eine der Erkenntnisse meiner Arbeit: Unter der rationalen Oberfläche der Reproduktionsmedizin haben archaische Vorstellungsbilder überlebt, zum Beispiel gewisse Geschlechterbilder. Man kann sehen, wie der Umgang mit männlichen Keimzellen ganz anders verläuft als der Umgang mit weiblichen.
Als Leihmütter noch genetisch verwandt waren mit dem ausgetragenen Kind, also bis anfangs der 1990er-Jahre, hat man den Leihmüttern viele Fragen gestellt zu ihrer gesundheitlichen Vergangenheit und ihren hygienischen Gewohnheiten. Ihre Schulbildung schien hingegen weniger wichtig.
In den Samenbanken, die ich im Buch beschreibe, geht es in Dutzenden von Kategorien immer darum, Exzellenz zu präsentieren: Der Samenspender muss hoch gebildet sein, künstlerisch talentiert, athletisch. Die Frau hingegen soll einfach gesund sein und Erfahrung haben im Kinder kriegen.
Eine weitere archaische Vorstellung ist die Blutsverwandtschaft. Warum hält sich diese so hartnäckig?
Obwohl mittlerweile in Deutschland ungefähr jedes 35. Kind mit Hilfe moderner Reproduktionsmethoden gezeugt wird, ist unsere Gesellschaft immer noch im Modus der Blutsverwandtschaft organisiert. Denken Sie an Sorgerecht, Erbrecht und Unterhaltsrecht.
Auch wollen Kinder, die wissen, dass sie aus einer Samen- oder Eizellenspende entstanden sind, ihre biologischen Erzeuger meist ausfindig machen. In den USA gibt es dafür Onlineforen, bei «Doner Sibling Registry» sind derzeit 45‘000 Menschen registriert. Hier kann ein Spenderkind allfällige Halbgeschwister ausfindig machen. Offenbar haben sich schon Tausende solcher Geschwister gefunden.
Sie haben in Ihrem Buch «Kinder machen» eine überraschende These formuliert: Die assistierte Empfängnis führt nicht zu einer weiteren Zersetzung der bürgerlichen Familie, sondern fördert das Projekt Kleinfamilie.
In vielen soziologischen Studien ist vom Niedergang der Familie die Rede. Der Esstisch im Wohnzimmer sei verwaist. Bei meinen Besuchen in solchen Familien, aber auch in Filmen und Romanen fällt mir aber auf: Regenbogenfamilien leben die bürgerliche Familie in Reinform. Man sieht sie, wie sie alle Mahlzeiten zusammen essen, alle am Tisch versammelt, im Gespräch miteinander. Das war die eine Beobachtung.
Und dann gibt es eine schlagende historische Koinzidenz: In den 1970er- und 1980er-Jahren, als der Tod der Familie als Folge der 68er-Bewegung ausgerufen wurde, bekommt die Familie durch diese Techniken neuen Schub. Genau in dieser labilen Phase können dadurch neu auch jene Menschen am Modell Familie teilhaben, die bis dahin ausgeschlossen waren aus biologischen, pathologischen oder aus Altersgründen. Diese Menschen nehmen die Familie viel ernster.
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Die ersten im Labor gezeugten Kinder in den 1970ern hiessen «Retortenbabys», Sibylle Lewitscharoff bezeichnete sie sogar als «Halbmenschen». Heute nennt man sie «Wunschkinder», die «Kinderwunschbehandlung» wird durchgeführt in «Kinderwunschzentren». Was ist da passiert?
Was Sibylle Lewitscharoff vor Monaten geäussert hat, ist die Reinform dessen, was in den 1980er-Jahren alle gesagt und geschrieben haben über künstliche Befruchtung, auch in linksliberalen Zeitungen. 25 Jahre später geht ein Aufschrei durch die Menge, wenn jemand den gleichen Standpunkt und die gleichen Worte nochmal äussert. Das heisst, es ist in einem Vierteljahrhundert unglaublich viel geschehen.
Dieses Unbehagen an der künstlichen Befruchtung als etwas Widernatürlichem gab es bis ungefähr 1990. Man sagte: «Wenn wir diese Techniken alle durchwinken, dann entmenschlichen wir den Menschen.» Es ging vor allem um die Frage der Künstlichkeit.
Und dann gerät innerhalb von wenigen Jahren das Künstliche aus dem Blick. Im öffentlichen Diskurs kommt das Drama der Unfruchtbarkeit zum Vorschein und die Tatsache, dass damit Paaren geholfen werden kann. In der Folge wird der Begriff «Retortenbaby» langsam vom Wort «Wunschkind» verdrängt: Nicht mehr das Künstliche, die Retorte, gibt den Namen, sondern die Perspektive der Eltern rückt ins Zentrum.