Die graue Farbe perlt grossflächig von den Wänden und der Decke ab, und auch die Fenster schliessen nicht ganz dicht. Dennoch machen Schrank, Couchecke und eine Matratze das 50 Quadratmeter grosse Atelier von Kaspars Lielgalvis gemütlich. In einer alten Fabrikanlage, wo einst Radioempfänger für die ganze Sowjetunion gebaut wurden, arbeiten und wohnen 25 Jahre später rund 20 Kreativkünstler.
«Totaldobže Art Centre» heisst das in Riga einzigartige Künstlerhaus, das zugleich «eine Plattform für Experimente und Zusammenarbeit von verschiedenen Stilrichtungen und unterschiedlichen Künstlern ist», wie ihr Mitbegründer Lielgalvis sagt.
Für die freie Rigaer Kunstszene ist das Zentrum mittlerweile eine feste Grösse, und wenn die lettische Hauptstadt 2014 den Titel der Kulturhauptstadt Europas trägt, werden auch das Totaldobže und weitere Teile der freien Kreativszene in das offizielle Programm eingebunden.
Kreativität braucht kein Geld
Die Designer, Maler, Performancekünstler und Musiker von Totaldobže, aber auch andere alternative Kulturzentren werden als «Kreativquartier» im Kulturhauptstadtprogramm beworben. Highlight ist hier 2014 das «Survival Kit»: Ein Festival für zeitgenössische Kunst. Es entstand bereits 2009 als Reaktion auf die Finanzkrise in der Baltenrepublik, und speist sich vor allem aus der Eigeninitiative der Künstler.
Vor diesem Hintergrund ist der Titel des Kulturhauptstadtprogrammes «Force majeure» (Höhere Gewalt) passend gewählt, glaubt Diāna Čivle vom Organisationskomitee. Es gehe um positive Macht. «Kultur ist so eine positive Macht. Sie kann das Leben von Menschen verändern und vieles für eine Stadt und ein Land machen», glaubt Čivle.
Das Programm der Kulturhauptstadt enthält viele Grossveranstaltungen wie die Klassik-Gala «Born in Riga», die Aufführung von Richard Wagners «Rienzi» oder die internationale Chor-Olympiade «World Choir Games» mit mehr als 20'000 Sängern aus 50 Ländern. Daneben sind auch Kunstausstellungen an ungewöhnlichen Orten, kreative Projekte unter Einbeziehung der Öffentlichkeit, Workshops und Diskussionen geplant.
Kunst für alle und jeden
«Mitmachen und Kreativsein sind Markenzeichen von Riga 2014», sagt Marketingleiterin Anna Muhka. Und vom Kulturhauptstadtjahr sollen alle Rigenser etwas haben. «Wir wollen, dass die Veranstaltungen zu den Menschen rausgehen, dahin, wo sie wohnen. In die Bezirke.» Auch daher setzt das Riga-2014-Team um Diāna Čivle auf die «Kreativquartiere».
Denn das Totaldobže liegt – wie auch seine Pendants – in einem der Aussenbezirke der Baltenmetropole. Neben den Künstlerateliers gibt es hier eine immer angesagtere Bar und eine alte Produktionshalle dient als provisorische Konzerthalle. Regelmässig gibt es hier Jam-Sessions, Poetry-Slams oder andere kreative Produktionen. «Das ist noch immer eine Fabrik, nur dass sie heute etwas anderes produziert», sagt Lielgalvis und lacht. «Kunst. Und sie verändert sich ständig.»