Oliver Krüger, Sie sind Religionswissenschaftler an der Uni Freiburg und haben sich wissenschaftlich mit Fantasy befasst. Können Sie mir erklären, weshalb das Genre derart beliebt ist?
Oliver Krüger: Ja, vielleicht liegt es daran, dass wir die Welt als zu sehr entzaubert wahrnehmen. Es scheint ein grosses Bedürfnis da zu sein nach einer «Remythologisierung» der Welt; wir sehnen uns nach Geschichten mit mythischen Elementen, nach Elementen, die das Leben wieder etwas reicher machen. Die gesamte Welt des mythologischen Erklärens, Geschichten rund um Elfen, Engel und Dämonen sind uns etwas abhandengekommen.
Und wie sehr helfen die Medien, insbesondere die neuen Medien, diese Sehnsucht nach Mythen zu befriedigen?
Das Internet spielt nicht die Hauptrolle, zumindest nicht bei der Entstehung des Genres. Es lässt sich nämlich ein genauer Startpunkt ausmachen – wie ein Paukenschlag – mit der Erscheinung des Buches «Die Nebel von Avalon» von Marion Zimmer Bradley. Das ist 1982 erschienen und öffnet ein Tor in eine ganz andere Welt, die im vorchristlichen England spielt. Auch hier schon taucht das Element der erfundenen, fiktionalen Tradition auf, mit spekulativem Wissen über die Welt der Kelten. Denn über die Religion des vorchristlichen Europas wissen wir praktisch nichts. Doch die Mischung aus Fiktion, Halbwissen und dem Anstrich der Historizität wirkt sehr anziehend.
Wie Sie sagen, diese Mischung ist sehr erfolgreich, Fantasy-Bücher werden millionenfach verkauft, auch Online-Games wie «World of Warcraft» oder die «Herr der Ringe»-Trilogie im Kino haben eine grosse Fangemeinschaft. Wie wird denn mit Geschichte umgegangen in dieser Szene?
Gerade sehr junge Leute, die frisch dabei sind, tendieren dazu, Dinge eins zu eins zu übernehmen. Dazu kommt, dass sich die aus dem Fantasy-Bereich hervorgegangenen Religionen Wurzeln in der vorchristlichen Zeit zuschreiben und sich als die eigentliche, die ursprüngliche, alte Religion legitimieren. Ein Beispiel ist die so genannte Wicca-Religion. Wicca bedeutet eigentlich Hexer auf angelsächsisch, bezeichnet heute aber eine religiöse Gemeinschaft, die vor allem in Nordamerika, England und Australien weit verbreitet ist.
Eine Hexen-Religion? Und woran glauben die Wicca-Anhänger?
Es wird ein anderer Umgang mit Körperlichkeit angeboten, als es das Christentum tut. Der Körper ist nicht Element von Schmerz, Leiden und Sünde, sondern durch und durch positiv besetzt. Die Anhänger wollen auch im Einklang mit der Natur leben, der Mensch ist nicht der Herrscher über die Natur – also kein «machet euch die Erde Untertan und mehret euch». Die Abgrenzung zum Christentum ist sowieso zentral: Der Begriff neopagan oder Neopaganismus wird selbstbewusst und positiv konnotiert verwendet. Obwohl pagan im christlichen Kontext immer etwas verachtend heidnisch bedeutete.
Oliver Krüger, Sie haben lange Jahre zu Wicca in Amerika geforscht – können Sie mir verraten, wie die Rituale aussehen, wie das so zu und her geht?
Über die Rituale selber darf ich nichts sagen, da wird grossen Wert darauf gelegt, dass das geheim und in einem bestimmten Zirkel bleibt. Aber was ich sagen kann, ist, dass Elemente aus Serien wie etwa «Charmed» oder «Buffy – die Vampirjägerin» aufgenommen und umgedeutet werden. So spielt etwa «Das Buch der Schatten» eine grosse Rolle: Bei «Charmed» stehen dort alle Zaubersprüche drin und wie man mit Dämonen umgeht – die Wicca-Anhänger benutzen das Buch in ihrer eigenen, ernsthaften religiösen Tradition als Ritualtagebuch.
Und wie ziehen Sie die Grenze zwischen Unterhaltung, die Fantasy ja auch sein kann, und, wie Sie sagen, ernsthaftem religiösen Erleben?
Man muss in der Tat unterscheiden zwischen den spielerischen Segmenten wie eben WOW-Gamern («World of Warcraft»-Gamer) oder LOTR-Fans («Herr Der Ringe»-Fans). Niemandem, der seine Freizeit so verbringt, kann man einfach unterstellen, dass er ernsthaft an Elfen und magische Kräfte glaubt. Auch Leute, die sich dreimal im Jahr an grossen Fantasy- oder Mittelalter-Märkten treffen und sich davon einfach eine Abwechslung zum Büroalltag versprechen, interessieren mich als Religionswissenschaftler nicht. Wenn die sich ein Wochenende lang als Elfenmagier verkleidet mit Plastikschwertern die Köpfe einschlagen wollen, bitte schön, das hat mit Religion nichts zu tun. Doch sobald jemand sagt, «ja, das ist meine echte religiöse Identität, die ich hier jetzt mit meinen Freunden auslebe, wir führen gemeinsam Rituale durch und feiern keltische Rituale im Jahreskreis», dann werde ich hellhörig. Die Schlüsselfrage ist immer: Was bedeutet es für den einzelnen Praktizierenden?