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Gesellschaft & Religion Kulturhauptstadt: Pilsen hat wenig Budget, dafür viel Charme

In Pilsen ist das Bier stark gehopft und wird naturtrüb direkt vom Fass getrunken. Neben Trinkkultur gibt es in Pilsen aber auch Theater- und Trickfilmkultur. Das Budget für das Kulturjahr ist knapp berechnet. Das hindert die Stadt aber nicht daran, mit einem charmanten Angebot aufzuwarten.

Wer soll nach Pilsen? Wer Kleinstädte mag. Wer Städte mag, die ihre proletarische Tradition nicht verleugnen. Wer vom höchsten Kirchturm Tschechiens hinabsehen will auf den grössten mittelalterlichen Marktplatz und eine streng rechtwinklig angelegte mittelalterliche Stadt. Wer Parks mag und Spaziergänge entlang von Flüssen. Wer wissen will, warum die Pilsener ihrem neuen Theater Emmentaler sagen. Wer moderne Kunst in alten Industriebauten mag. Wer die liebliche Landschaft um Pilsen herum entdecken will. Und wer wissen will, was ein Kamel im 15. Jahrhundert in Zentraleuropa verloren hatte.

Was sind die Höhepunkte dieses Kulturhauptstadtjahres?

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Eine subjektive Auswahl:

  • Neuer Zirkus, zum Beispiel mit dem Schweizer Seiltänzer David Dimitri oder dem Cirque Trottola, einer französischen Truppe, die den traditionellen Zirkus neu interpretiert und dem Genre eine neue Poesie verleiht, ohne die klassischen Zutaten wie Akrobatik, Nummernrevue oder Clowns zu vernachlässigen.
  • Die Maori-Porträts des Pilsener Malers Gottfried Lindauer. Um sich der Armee zu entziehen, floh Lindauer um 1874 und wanderte nach Neuseeland aus. Dort entstanden die berühmten Gemälde, die von den Ureinwohnern Neuseelands bis heute verehrt werden. Lindauer porträtierte die Maorichefs in dunklen, warmen Farben und sehr detailgenau. Erstmals haben jetzt die Nachfahren der Porträtierten zugelassen, dass die Bilder Neuseeland vorübergehend verlassen.
  • Auch die Ausstellung über den berühmten Pilsener Trickfilmpionier Jiří Trnka wird viele Leute anziehen. Verglichen mit dem, was heute in Trickfilmen machbar ist, waren seine Möglichkeiten sehr klein. Doch Trnka hat viel mit Puppen gearbeitet, und sein Werk versprüht einen unübertroffenen und immer noch bezaubernden Charme des Handwerklichen.
  • Für Architekturliebhaber ein Must sind die neu zugänglichen, von Adolf Loos gestalteten Interieurs. Der Architekt Loos verbrachte viele Jahre in Pilsen und richtete viele Privatwohnungen ein. Er verwendete beste Materialien und verzichtete konsequent auf jedes dekorative Element: Damit wurde er zu einem der Väter der Moderne.

Und all das finanziert die EU?

Kulturhauptstadt Europas

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Die «Kulturhauptstadt Europas» ist eine EU-Initiative. Jährlich wird der Titel an mindestens zwei Städte vergeben. Im Jahr 2015 sind es Pilsen in Tschechien und Mons in Belgien . Hier geht es zum Beitrag über Mons.

Die EU liefert den Titel, aber kaum Geld. Den Löwenanteil der Kosten trägt die Stadt selber, auch der tschechische Staat und die Region Pilsen leisten grosse Beiträge. Das Kulturhauptstadt-Budget Pilsens ist mit 20 Millionen Euro klein. Zum Vergleich: Die andere Kulturhauptstadt 2015, das belgische Mons, verfügt über 70 Millionen Euro. Die Kulturhauptstadt ist keine Subventionsorgie, sondern ein Investment: Die Stadt nimmt Geld in die Hand und hofft, damit die Zahl der Touristen dauerhaft zu steigern.

Ist das Bier wirklich so gut?

Die Pilsener sind allesamt überzeugt, dass es kein besseres gibt. Sicher ist: Der Weg zum guten Bier führte über das schlechte. So schlecht war das Bier in Pilsen Mitte des 19. Jahrhunderts, dass man einen bayrischen Braumeister in die Stadt holte. Dieser erfand hier die Pilsner Brauart und damit ein Bier, das Furore machte und bis heute als Pils auf der ganzen Welt beliebt ist. Ein Pilsner Pils ist stärker gehopft als ein Schweizer Spezialbier und schmeckt darum etwas bitterer. Und es schmeckt wohl tatsächlich nirgendwo besser als in einer Pilsener «Hospoda» (Kneipe), naturtrüb, unpasteurisiert und direkt vom Fass.

Und das Kamel?

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Also: Der polnische König schenkte es den tschechischen Hussiten, als Dank für ihre Hilfe im Krieg gegen die Türken. Später belagerten die reformatorischen Hussiten die letzte katholische Stadt Böhmens, Pilsen eben. Sie setzten das Kamel dabei als Spezialwaffe ein und behaupteten, es sei ein menschenfressendes Ungeheuer. Die Pilsener liessen sich aber nicht beeindrucken. In einer Nacht im Jahr 1434 klauten sie den Hussiten das Tier, worauf es zwei Jahre lang im Hof des Rathauses lebte. Das Kamel im Pilsener Wappen erinnert noch heute daran.

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