Die Rede ist hier weder von Schach oder Jass, noch von Geistesakrobatik, Virtuosität oder Taktik. Vielmehr geht es um das völlig sinnlose Spiel von Erwachsenen – mit Legoklötzchen oder elektrischen Eisenbahnen; um ein Spiel ohne Regeln, frei in Zeit und Raum und völlig ohne Zweck. Der Spieler vergisst weitgehend, was ausserhalb des Spieles läuft und gerät in einen Flow-Zustand, in eine Trance ohne Drogen – spontan, als ob im Gehirn ein Schalter umgelegt worden wäre, ist er hoch konzentriert auf sein Spiel.
Entspannung für das Gehirn
Durch das stressfreie, lustvolle Wiederholen der immer gleichen Handlung, erlebt der Spieler eine Art geistige Wellness. Hat er es hingegen mit veränderten Spielsituationen zu tun, muss er sich an diese anpassen und trainiert seine geistige Beweglichkeit.
Doch das selbstvergessene, scheinbar sinnlose Spiel ist ganz und gar nicht sinnlos. Das bestätigen Hirnforscher, Psychologen und Pädagogen. Erziehungswissenschaftler Hans-Ulrich Grunder etwa sagt: «Bei einem Spiel, in das man versinkt und bei dem die Fantasie wichtig ist, da ist der Prozess zentral und nicht das Produkt – was dabei herauskommt, ist völlig egal.» Bei einem regelgeleiteten Spiel hingegen könne etwa die Punktzahl ein wichtiger Faktor sein.
Durch Spielen eingetretene Pfade verlassen
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Ein solch freies Spiel der Fantasie scheint auf den ersten Blick das genaue Gegenteil konzentrierter, zielgerichteter Arbeit zu sein. Doch dem ist nicht so: Jeder kennt die Erfahrung, dass gerade dann, wenn wir unsere Arbeit als interessant und erfüllend empfinden, spielerische Elemente zentral sind. Sie steigern unsere kreativen Leistungen und halten uns länger wach und fokussiert.
Besonders ausgeprägt zeigt sich das bei Wissenschaftlern. Viele Spitzenforscher wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig spielerische Elemente sind, um kreative, bahnbrechende Ergebnisse zu erzielen. Diese helfen, eingetretene Pfade zu verlassen, nach neuen Lösungen für Probleme zu suchen und dort weiterzuspielen, wo es aussieht, als hätte man mit Abfallprodukten und Fehlern zu tun. «Wenn man Fehler beachtet und daraus lernen kann, dann ist das eine wissenschaftliche Haltung», erklärt Hans-Ulrich Grunder.
Nobelpreis für ein Nebenprodukt
Der Amerikaner Percy Spencer war so ein wissenschaftlicher Spieler. Als er in den 1940er-Jahren an Generatoren für Radaranlagen bastelte, schmolz ihm plötzlich der Schokoriegel in der Hosentasche. Hitze durch Mikrowellen hatten Wissenschaftler bereits früher beschrieben, aber als Fehler abgetan. Percy Spencer spielte weiter mit dem Effekt – und erfand die Mikrowelle.
Ähnliches geschah in Zürich Anfang der 1980er-Jahre: Heinrich Rohrer und Gerd Binning entwickeln an der ETH Zürich das Rastertunnelelektronenmikroskop, wofür sie 1986 den Nobelpreis bekamen. Gerd Binnig bezeichnete die Tätigkeit seines Teams dezidiert als «Spielen» und das Mikroskop nur als ein Nebenprodukt seiner Forschung.
Am Anfang war das Spiel
Der Mensch ist ein Spieler. Ein Leben lang und überall: in den Wissenschaften wie in der Politik, in der Kunst wie in der Kultur. In den 1930er-Jahren entwickelte der Kulturwissenschaftler Johan Huizinga eine Theorie von der Entstehung unserer Kultur aus dem Spiel: «Kultur wurde anfänglich in den Formen und der Stimmung eines Spiels aufgeführt.» Der Homo sapiens sei eigentlich ein Homo ludens, ein spielender Mensch.
Sämtliche Handlungsfelder der Kultur, also Kunst, Musik, Literatur, Theater und Sport, versteht Huinziga als eine Weiterführung von Spielformen unserer Kindheit. Aus sensomotorischen Spielen wie Fangen entfalten sich Sportarten und Tänze; aus Konstruktionsspielen wie Lego entstehen Bildhauerei, Architektur und Ingenieurskunst. Rollen- und Regelspiele führen zum Theater und zur Politik. Wer also als Kind gerne Rollenspiele machte und um eine Führungsposition kämpfte, machte sich fit für die Politik.