Exakt vier Minuten vor dem vereinbarten Termin steht er da, strahlend und im frisch gebügelten Hemd – die verkörperte Antithese zu den Bildern der verzweifelten Flüchtlinge an Bahnhöfen und Grenzübergängen Europas. Zenagebriel Haile (27) steckt voller Optimismus. Er hat schon vieles erreicht, doch er will mehr. Dabei ist der Eritreer erst vor sieben Jahren im Empfangszentrum in Chiasso gelandet – mit nichts in der Tasche als einer abenteuerlichen Fluchtgeschichte.
Der liebe Gott mischt sich ein
Mit seiner Schwester und ihrer 3-jährigen Tochter reiste Haile über den Sudan durch die Wüste, zu Fuss oder im Pickup, zum Teil unter extremen Bedingungen. Dann stachen sie in Libyen in einem winzigen Boot in See, 26 Erwachsene und eben das eine Kind seiner Schwester. Der Motor gab seinen Geist bald auf, was bedeutete: ertrinken oder mit den Wellen nach Libyen zurück getrieben werden.
Doch dann mischte sich der liebe Gott ein und wollte das Mädchen im Boot retten, sagt Haile. Wie durch ein Wunder sprang der Motor am nächsten Morgen an, das Meer war ganz ruhig und sie kamen nach Lampedusa. Rom, Mailand, Como, dann zu Fuss nach Chiasso, so endete seine 10-monatige Flucht.
Fachmann für Gesundheit und Theologiestudium
Haile lebt heute in Zürich und arbeitet in einem Altersheim. Er hat bereits ein Diplom im Pflegebereich abgeschlossen – und er will mehr. Geduldig erklärt er die Bezeichnung für seine Ausbildung als «Assistent Gesundheit und Soziales, AGS». Im Herbst beginnt er mit der «FAGE»-Ausbildung für den Titel «Fachmann für Gesundheit». Im Selbststudium.
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Das zweite Selbststudium, das er sich ab Herbst vornimmt, ist ein zweijähriges Online-Theologiestudium. Haile ist Christ, wie ungefähr 90% aller eritreischen Flüchtlinge in der Schweiz. Schon jetzt präsidiert er die eritreischen Katholiken von Zürich und Zug, leitet den eritreischen Chor, den er selber gegründet hat, organisiert und koordiniert Anlässe und Gottesdienste – meist via Facebook.
Lebenslänglicher Sklavendienst
Die rasch wachsende Gemeinde trifft sich in der Guthirt-Kirche in Zürich Wipkingen, die Messe hält in der Regel der eritreische Priester Mussie Zerai, der als Anlaufstelle für Bootsflüchtlinge über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde. Manchmal hält auch Zena Haile die Predigt. Religiöses Wissen interessiert ihn, doch Priester will er nicht werden.
Warum er geflüchtet ist? Es gäbe, erklärt er in sorgfältigem Deutsch, in seiner Heimat keine Freiheit und keinerlei Chancen auf Ausbildung, bloss überfüllte Gefängnisse. In Eritrea seien Bildungs- und Gesundheitswesen eine Katastrophe. Er sei nicht aus finanziellen Gründen geflüchtet, «unsere Familie war reich», erzählt er. Aber der Militärdienst sei eine Art lebenslänglicher Sklavendienst. Er könne sich sogar mit einem fünfjährigen Dienst abfinden; aber ein Leben lang für die Armee dieses Regimes gratis schuften, das will er nicht.
Beeindruckende Zielstrebigkeit
Viele seiner Landsleute sind noch nicht so weit gekommen wie er. Die Stimmung sei sehr gemischt, etliche von ihnen seien (noch) abhängig von der Sozialhilfe. Viele Eritreer kämen mit der Vorstellung hierher, sie könnten sofort Arbeit finden. Doch das sei unrealistisch, allein schon wegen der fehlenden Sprachkenntnisse. Manche bekämen zu wenig Unterstützung, andere seien selber zu passiv, sagt Haile.
Es sei auch für ihn eine Herausforderung gewesen, die Sprache und die Kultur neu zu lernen. Er habe hart gearbeitet, und er habe auch Glück gehabt. Zielstrebig hilft er dem Glück nach: Den Fachabschluss will er unbedingt erreichen, ebenso wichtig ist ihm das Theologiestudium. Ausserdem spielt er Fuss- und Beachvolleyball, und auch eine Familie möchte er gründen.
Er hatte Glück
Und was denkt er über die aktuellen Dramen im Mittelmeer und an den Grenzen Europas? Die Fluchtbedingungen für Eritreer seien heute ungleich schwieriger, sagt Zenagebriel Haile. Viele eritreische Christen würden Opfer von Jihadisten, bevor sie überhaupt zum Meer kämen. Er hatte Glück. Und ist einfach froh, dass er es geschafft hat.