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Gesellschaft & Religion Was kann Europa vom Silicon Valley lernen?

Christoph Keese, Manager im Axel Springer Verlagshaus, lebte ein halbes Jahr im Silicon Valley. Seine Erfahrungen im Zentrum der Internetindustrie hat er in einem Buch festgehalten. Darin sagt er: Wirtschaftlich könnte es ungemütlich werden für Europa. Und liefert Ideen, wie wir uns wappnen können.

Als eine «Mischung aus dem Anti-Establishment-Revoluzzertum von San Francisco und dem Machbarkeitsdenken von Stanfort», bezeichnet Christoph Keese, 50, das Silicon Valley in seinem Buch. Denn: Das Tal der Internetindustrie ist ein einzigartiges Cluster von Geld und Geist.

Unvorstellbare Dimensionen: 5,4 Billionen Dollar Umsatz

Buchhinweis

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Christoph Keese: «Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt», Knaus, 2014.

Seit der Eisenbahnbaron Leland Stanford 1891 auf einem Farmgelände die Stanford-Universität gründete, haben sich im Silicon Valley rund 40'000 Unternehmen angesiedelt. 5,4 Millionen Arbeitsplätze entstanden, die 5,4 Billionen US-Dollar Umsatz erwirtschaften. Das Jahresbudget der Stanford University beträgt 5 Milliarden US-Dollar, auf 15'000 Studierende kommen 2000 Professorinnen und Professoren sowie 13'000 weitere Mitarbeiter.

Im Silicon Valley werden jährlich 15 Milliarden US-Dollar Risikokapital investiert – in ganz Deutschland sind es bloss 700 Millionen. Von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt verstreichen hier gerade mal sechs Wochen. Auch darüber kann man nur staunen.

Lehren für die Wirtschaft in Europa

Vom Silicon Valley könne Europa lernen, schreibt Christoph Keese in seinem Buch «Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt». Drei Ideen Keeses, die Europa weiterbringen könnten:

  • «Disruptive Innovation». Der Begriff bedeutet, dass Unternehmen Schwachstellen im Geschäftsmodell oder Produkt von Konkurrenten aufspüren und gezielt angreifen. Dieses Konzept kann eine Firma auch auf sich selbst anwenden – um Gegenstrategien zu entwickeln, bevor die Konkurrenz angreift. Solch radikale Selbstkritik wäre in Europa nötig, schreibt Keese.
  • Die Internet-Plattform als Wirtschaftsform mit Zukunft. Plattformen wie der Taxiservice «Uber», die Ferienwohnungsvermittlung «airbnb» oder der Musik-Shop «iTunes» vermitteln zwischen Kunden und Produzenten. Sie werden sogar zu Isolationsstellen, denn die Kundendaten erntet die Plattform, die dadurch an Macht gewinnt. Der Hersteller des Navigationsgeräts im Auto etwa kennt unsere Routen und weist uns den Weg zum Schuhgeschäft, das soeben unsere Fahrt ersteigert hat. Geld verdient werde in Zukunft durch Provisionen für solche Dienstleistungen.
  • Lehrplanreformen. Wer nur mit der Benutzeroberfläche der IT-Geräte umgehen kann, wird zum Konsumenten degradiert. Damit wir aber Produzenten sein können, fordert Keese neue Lehrpläne. Die Programmiersprache C++ etwa müsse Bestandteil jeder Schullaufbahn werden. Programmieren zu können, sei heute unerlässlich.

Die Schattenseiten der Ideenschmiede

Heisst, vom Silicon Valley zu lernen, siegen zu lernen? Ja. Aber Christoph Keese geht auch ausführlich auf heikle Entwicklungen ein. Er schreibt über den Monopolmissbrauch durch IT-Giganten. Er kritisiert die Verquickung der Stanford University mit der Wirtschaft: Studenten würden von Professoren, die im Verwaltungsrat des Start-ups Einsitz nehmen, zum Studienabbruch ermutigt – um ihre unternehmerischen Ideen dort zu verfolgen.

Den sozialen Graben zwischen Milliardären und Hungerlöhnern hat der Medienmanager ebenso im Blick wie das gefährliche Denken, dass einzig Exzellenz eine Existenzberechtigung hat. Als demokratische Gesellschaft, so Keese, hätten wir jedoch die Aufgabe, uns um möglichst gute Bedingungen für alle Menschen zu kümmern.

Macht statt Ohnmacht

Christoph Keeses Ceterum Censeo: Die Bürgergesellschaft müsse eine Debatte führen mit dem Ziel, «eigene Normen zu setzen, Wertvorstellungen für die Digitalwirtschaft zu denken, sie rechtssicher, belastbar und anwendbar zu machen». Dass das Internet nur virtuell ist, sei eine PR-Behauptung der Konzerne. Den physisch existierenden Servern, Unterseekabeln und Rechenzentren sei die Gesellschaft nicht machtlos ausgeliefert. Und die analogen Gesetze gelten auch für die digitale Welt.

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