Ungarn 1944: Das Land ist von der deutschen Wehrmacht besetzt. Mit Beharrlichkeit und Brutalität treibt SS-Mann Adolf Eichmann die Deportation der ungarischen Juden voran.
437'000 Kinder, Frauen und Männer sind bereits ermordet worden, als Raoul Wallenberg in der ungarischen Hauptstadt eintrifft. «Engel von Budapest» wird man ihn später nennen.
In geheimer Mission
Der Sohn einer einflussreichen schwedischen Unternehmerfamilie hat von seiner Regierung einen Geheimauftrag erhalten: Er soll die letzten verbliebenen Juden vor der Gaskammer retten.
Ausgestattet mit 150'000 Dollar des US-amerikanischen Kriegsflüchtlingskomitees macht sich der 32-Jährige an die Arbeit.
Jede List war ihm willkommen
«Wallenberg war kein Politprofi», resümiert der Hamburger Journalist und Historiker Ulrich Völklein, sondern «ein junger Mensch, der sich entschlossen hatte, der Menschlichkeit wegen sich einzusetzen.»
Im Rang eines Attachees der schwedischen Gesandtschaft verfügt Wallenberg über diplomatische Immunität. Und er weiss sie zu nutzen. Wallenberg kauft Wohnhäuser samt Krankenhaus und Kindergarten, in denen die Geretteten unter schwedischer Flagge Unterschlupf finden. Er besticht Beamte, droht mit politischen Konsequenzen, wenn man ihm nicht helfen will oder stellt den Deutschen Millionenkredite in Aussicht. Jede List ist ihm willkommen.
SS-Leute waren eingeschüchtert
Zusammen mit dem Schweizer Vizekonsul in Budapest, Carl Lutz, entwickelt der junge Schwede das System der sogenannten Schutzpässe und -briefe. Damit können ungarische Juden zu schutzwürdigen Angehörigen neutraler Staaten erklärt werden. Das rettet einige Tausende Juden vor dem unmittelbaren Zugriff der SS und der Gestapo.
Wallenberg greift zu ungewöhnlichen Mitteln: Er stoppt persönlich Eisenbahnzüge nach Auschwitz. Er behindert Erschiessungskommandos der sogenannten Pfeilkreuzler, wie sich die ungarischen Nationalsozialisten nennen. Er zerrt Juden aus Todesmärschen heraus.
Zeitzeugen sprechen immer wieder von Wallenbergs Wagemut, der selbst SS-Leute einzuschüchtern vermag. Als die russischen Truppen Budapest einnehmen, finden sie fast 100'000 Juden am Leben.
Herzversagen – oder Todesschuss?
Am 16. Januar 1945 wird die schwedische Regierung davon unterrichtet, dass man Wallenberg unter sowjetischen Schutz gestellt habe. «Ich weiss nicht, ob ich ihr Gefangener oder ihr Gast bin», soll Wallenberg noch gescherzt haben, als er das letzte Mal lebend gesehen wird. Dann verliert sich seine Spur.
1957 teilen die Sowjets der schwedischen Regierung mit, Wallenberg sei 1947 an Herzversagen gestorben – im Hospital der Lubjanka, dem Gefängnis des berüchtigten sowjetischen Geheimdienstes NKWD. 1989 übergibt die russische Regierung den Angehörigen Wallenbergs letzte persönliche Gegenstände, darunter seinen Pass, Kalender und ein Zigarettenetui.
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2001 schliesslich räumt Alexander Jakowlew, Leiter der Rehabilitierungskommission des russischen Präsidenten Putin ein, Wallenberg sei erschossen worden. Trotzdem galt Wallenberg in Schweden bis heute als vermisste Person.
Offene Fragen
Deshalb hatte im Frühjahr dieses Jahres ein Mitglied der Familie Wallenberg eine offizielle Sterbeurkunde beantragt. Jetzt erklärte die schwedische Finanzbehörde, die für das Personenstandsregister zuständig ist, Raoul Wallenberg für tot. Man sehe den 31. Juli 1952 als seinen offiziellen Todestag an.
Doch noch immer sind nicht alle Dokumente, die in russischen Archiven lagern, der Öffentlichkeit zugänglich. Nur sie könnten Aufschluss darüber geben, wie lange Wallenberg wirklich gelebt hat und wer in der ehemaligen Sowjetunion für seine Ermordung verantwortlich war.
Sendung: Radio SRF 1, Nachrichten, 31.10.2016, 19 Uhr