Patrick Schmitt ist Glückslehrer. Er unterrichtet «Glück» im Brückenangebot in Frauenfeld. Elf Lernende kommen am Freitagnachmittag freiwillig zu ihm in den Unterricht. «Mir macht dieses Schulfach Spass», sagt Zoe, die mit Leib und Seele bei der Sache ist.
Zu Beginn der Stunde gibt Patrick Schmitt der Klasse eine praktische Aufgabe. An einem Eisenring sind viele Schnüre befestigt. Alle nehmen je zwei Schnüre in die Hände. Wenn die Schnüre gespannt sind, schwebt der Eisenring in der Luft. Nun setzt Patrick Schmitt einen Tennisball auf den Ring. Das Ziel: den Ball drei Treppen hinunter bis zum Schulausgang tragen, ohne dass der Ball runterfällt.
Die Jugendlichen sprechen sich ab, wer vorausgehen soll, wer das Kommando übernimmt. Sie ermahnen sich gegenseitig, keine fahrigen Bewegungen zu machen.
Die Grundpfeiler des Glücks
Das Schulfach Glück fusst auf der positiven Psychologie. Sie geht davon aus, dass das psychologische Wohlbefinden die Grundlage für langfristiges Glück ist.
Einer der Grundpfeiler, auf dem das Wohlbefinden steht, ist das Leben in Beziehung. Deshalb macht Patrick Schmitt mit den Lernenden die Geschicklichkeitsübung mit dem Tennisball. Nur ein gutes Team, in dem alle voll bei der Sache sind, kann die Aufgabe lösen.
Dreimal wäre der Ball beinahe vom Ring gepurzelt. Doch mit vereinten Kräften schaffen die Lernenden es schliesslich. Die Klasse applaudiert sich selbst, Patrick Schmitt freut sich mit. Motiviert eilen die Jugendlichen ins Klassenzimmer zurück.
Wie wird man Glückslehrperson?
Patrick Schmitt lernte das Schulfach Glück bei zwei Kolleginnen kennen, mit denen er eine Weiterbildung besuchte. Er nahm einige Male an ihrem Glücksunterricht teil. Das Thema packte ihn. So meldete er sich beim Institut «Remaking» an und absolvierte die einjährige Ausbildung zur Glückslehrperson.
Seit fünf Jahren leitet Lucia Miggiano die «Glückskurse» von «Remaking». Ihre Ausbildung hat sie ihrerseits beim Fritz-Schubert-Institut für Persönlichkeitsentwicklung in Heidelberg gemacht. Dort wurde das Schulfach Glück erfunden und entwickelt.
Lucia Miggiano brennt für das Schulfach und setzt sich mit Herzblut dafür ein, dass das Glück in der Schule einen festen Platz bekommt. «Wohlstand haben wir in der Schweiz», sagt sie. «Was fehlt, ist das Wohlbefinden, das zum Glück führt.»
Patrick Schmitt doppelt nach: «Im Lehrplan 21 gibt es diverse Anregungen, Themen zur persönlichen Weiterentwicklung und zum achtsamen Umgang miteinander im Schulalltag unterzubringen. Doch oft bleiben diese Themen im Alltagsstress auf der Strecke. Sie liegen auch nicht jeder Lehrperson.»
Stärken kennen und Ziele setzen
Er wolle den Lernenden Werkzeuge mitgeben, die ihnen helfen, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen, sagt Patrick Schmitt: «Dass sie nicht anderen die Schuld in die Schuhe schieben, wenn etwas misslingt. Das ist nur dann möglich, wenn die jungen Menschen ihre Stärken kennen und wenn sie lernen, sich Ziele zu setzen und sie umzusetzen.»
Mein Ziel ist, dass die Beziehung zu den Menschen, die mir am Herzen liegen, lebendig bleibt.
Die persönliche Weiterentwicklung ist in der positiven Psychologie die zweite Grundvoraussetzung, um das Wohlbefinden zu erreichen, das zum Glück führen soll.
Das Glück kneten
Damit das Ganze nicht in der Theorie stecken bleibt, hat Patrick Schmitt Modelliermasse mitgebracht. «Formen Sie ihr Ziel, damit es konkret wird», fordert er die Lernenden auf. «In meiner letzten Glücksklasse habe ich einen Hundehaufen geformt als Zeichen dafür, dass ich mir ganz fest einen Hund wünschte. Es gab einige Hürden zu überwinden. Heute habe ich einen Hund. Für mich ein grosses Glück.»
Zoe formt ein Herz. «Mein Ziel ist, dass die Beziehung zu den Menschen, die mir am Herzen liegen, lebendig und gut bleibt», erklärt sie.
Im Stärkenwald
Im Schulfach Glück gehen die jungen Menschen gemeinsam auf eine innere Reise. Sie stellen sich vor, als Klasse in den Stärkenwald zu gehen. Dort suchen und fällen sie ihren «Stärkenbaum». Die Stärken sind Planken, aus denen sie ihr imaginäres Schiff bauen, mit dem sie dann in See stechen.
Welche Verhaltensregeln und Werte an Bord gelten, macht die Klasse selbst aus. Jede und jeder setzt sich auch mit seinen eigenen Werten auseinander. Die Werte stellen sich die Lernenden als Sterne am Himmel vor, an denen sich die «Segelnden» orientieren.
Was ist Glück?
Irgendwie wissen wir alle, was mit Glück gemeint ist. Und doch ist es schwer zu fassen. Ein Grund ist, dass es im Deutschen nur ein Wort dafür gibt: Glück eben. In anderen Sprachen gibt es mindestens zwei Wörter, die äusseres und inneres Glück beschreiben.
Bei den alten Griechen zum Beispiel gehörte es zur Bildung, über das Glück nachzudenken. Nicht so in unserem Bildungssystem. Glücksratgeber gibt es zuhauf, sie haben Rezepte parat, und die Werbung verspricht Glück, wenn wir das richtige Produkt erwerben. Was fehlt, ist eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Glück.
Gegenwind gegen den Glücksunterricht
Lehrpersonen, Schulleitungen und Eltern sind oft erst einmal skeptisch, wenn sie vom Schulfach Glück hören. Sie stellen sich entweder vor, die Lehrpersonen würden die Kinder bespassen, oder befürchten, dass der Unterricht ins Esoterische abgleiten könnte.
Tobias Rhode vom Fritz-Schubert-Institut Heidelberg, wo das Schulfach Glück herkommt, will diese Befürchtungen mit dem Argument entkräften, dass die Wissenschaft Glücks-Modelle erarbeitet habe. Diese zeigten, wie langfristig Glück erlangt werden könne.
Die Wissenschaft hat einen Vertrauensbonus. Doch dass ausgerechnet Wissenschaftler behaupten, sie hätten den Weg zum Glück definiert, lässt auch wieder aufhorchen. Gibt es da womöglich ein Glücksdiktat?
Die Quellen des Glücks
Einer allgemeingültigen Glückdefinition steht Daniel Mauerhofer kritisch gegenüber: «Unsere Haltung und unsere Lebenseinstellung sind wichtige Faktoren im Zusammenhang mit dem Glück», erläutert der schulische Heilpädagoge und angehende Psychoanalytiker. «Das Leben ist geheimnisvoll und übersteigt unseren Verstand.»
Nicht alles lasse sich erklären und in ein Modell packen: «In uns Menschen wohnt das Wunderbare, die Lebensessenz, die sich in jedem Menschen anders zeigt. Dieser unsichtbare Schatz ist unsere Glücksquelle.»
Mit dieser Glücksquelle gelte es in Verbindung zu bleiben, sagt Mauerhofer: «Der Tiefenpsychologe C. G. Jung nennt dies das ‹Selbst›.»
Dem «Bliss» folgen
Daniel Mauerhofer verweist in diesem Zusammenhang auf den US-amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell. Auch bei ihm kommt das Glück aus dem Inneren eines Menschen. Campbell ermutigt dazu, in sich hineinzuhören und seinen eigenen «Bliss» zu finden, seine Glückseligkeit, seine grosse Freude.
Ich nehme mir jetzt Zeit, die nur mir gehört. Das tut mir gut.
Wer seinen «Bliss» findet und auf ihn hört, erlebt laut Campbell, dass er auf wundersame Weise zu dem wird, wofür sie oder er gemacht ist: «Wenn Sie das tun, dann können Sie beobachten, wie Ihnen Menschen begegnen, die zu Ihrem Weg dazugehören und die Ihnen Türen öffnen. Ich sage, folgen Sie Ihrer Bestimmung, haben Sie keine Angst und es werden sich Türen öffnen, wo Sie niemals welche erwartet haben.»
Sein Glück finden
Auch im Schulfach Glück geht es darum, herauszufinden, was für die jeweilige Person stimmt, was ihre Stärke ist, und daraus Ziele abzuleiten.
«Ich begrüsse es, dem Glück in der Schule einen Raum zu schaffen», sagt der angehende Psychoanalytiker und schulische Heilpädagoge Daniel Mauerhofer. Für ihn gehört zum Glück aber auch die Einsicht, dass wir nicht alles in der Hand haben: «Es ist wichtig, auf seine innere Stimme zu hören. Auch wer seinen ‹Bliss› gefunden hat, braucht Stärke und Ausdauer, seinen Weg zu gehen. Doch er kann darauf vertrauen, dass das Leben ihn beschenkt.»
Ein Geschenk ist der Unterricht bei Patrick Schmitt für den Schüler Gabriel: «Ich habe gemerkt, dass ich eigentlich immer woanders bin. Ich nehme kaum je wahr, wie ich mich fühle, wer ich genau bin. Immer bin ich mit Schule oder Sport beschäftigt, in den Pausen bin ich am Handy oder sitze am Computer. Ich nehme mir jetzt wöchentlich Zeit, die ganz alleine mir gehört. Das tut mir gut.»