- Immer mehr Institutionen und Ämter publizieren ihre Infos auch in «Leichter Sprache».
- Von leicht verständlichen Texten profitieren nicht nur Menschen mit sprachlichen Defiziten, sondern alle.
- Die Einfachheit eines Textes ist seiner Verständlichkeit nicht immer zuträglich.
Behörden und Barrieren
Immer mehr öffentliche Institutionen und Ämter geben ihre Informationen in zwei Fassungen heraus: in Normalsprache und in leichter Sprache. Menschen mit kognitiv bedingten Leseschwierigkeiten sollen Behördenkontakte selbständig meistern können. Stichwort «Barrierefreiheit».
Ebenso sollen Fremdsprachige, die Deutsch nur rudimentär beherrschen, Merkblätter selber verstehen können. Die Behörden wiederum erwarten dank der leichten Sprache Entlastungen und Einsparungen, weil die Leute weniger Beratung brauchen.
Leichte Sprache breitet sich deshalb rasant aus. Pro Infirmis unterhält ein «Büro für Leichte Sprache», in dem Texte aus der Normalsprache in leichte Sprache übersetzt werden.
Alle profitieren
Laut einer Medienmitteilung von Pro Infirmis nehmen die Übersetzungs-Aufträge von Verwaltungen, sozialen Organisationen und von Dienstleistern aus dem Gesundheitsbereich stetig zu.
Aber nicht nur Menschen mit sprachlichen Defiziten profitieren von leicht verständlichen Texten, sagt Linguistikprofessorin Regula Schmidlin. Sondern wir alle.
«Im Zuge der Digitalisierung muss man als Bürgerin und Bürger immer mehr Funktionen ausüben, die vorher von Dienstleistern erbracht worden sind, zum Beispiel Bahnbillete kaufen oder Banküberweisungen tätigen. Deshalb sind die Institutionen darauf angewiesen, dass ihre Informationstexte möglichst verständlich sind.»
Die Schwierigkeit des Einfachen
Stellt sich bloss die Frage: Was macht einen Text eigentlich leicht verständlich? Aus der Verständlichkeitsforschung weiss man, dass die vier Faktoren «Einfachheit», «Kürze», «klare Gliederung» und «Attraktivität» einen Text leicht zugänglich machen.
Die permanente Wiederholung von Wörtern in der leichten Sprache macht einen Text aber langfädig und unattraktiv und damit gerade weniger leicht zugänglich. Ein wichtiger Bestandteil beim Verstehen eines Textes ist überdies, dass man beim Lesen die verschiedenen Informationen automatisch gewichtet und hierarchisiert.
Bei der leichten Sprache stehen aber, vereinfacht gesagt, alle Informationen gleichwertig nebeneinander. Das ebnet die Gliederung eines Textes ein und erschwert sein Verständnis.
Ohne Bild im Bild?
Auch das Verbot von Metaphern in «Leichter Sprache», von bildstarken Ausdrücken, ist für Regula Schmidlin problematisch: «Die Metaphern, das weiss man aus der kognitiven Linguistik, erleichtern das Verständnis der komplexen Welt. Wer begreift schon, wie der Strom vom Stausee in den Föhn kommt! Aber wenn ich sage: ‹Der Strom fliesst›, dann ist das eine Metapher, mit deren Hilfe ich mir diesen Vorgang erklären kann.»
Auch Ironie, Witz und die ganzen Zwischentöne, von denen journalistische oder literarische Texte leben, können nur schlecht in die leichte Sprache mit ihrer Simplifizierung übersetzt werden.
Veränderung und Verlust
Leichte Sprache sei ein Kompromiss zwischen dem Recht auf Information und der Lesbarkeit eines Textes. Sprich: dem Genuss am Lesen.
Von wissenschaftlicher Warte her gesehen, so Regula Schmidlin, müsse man davon ausgehen, dass bestimmte komplexe Inhalte nur mit einer einigermassen komplexen Sprache wiedergegeben werden könne.
Eine Übersetzung von Normalsprache in leichte Sprache, das die Quintessenz von Regula Schmidlin, ist immer mit einer Veränderung, oft auch mit einem Verlust von Information verbunden.
Aber das Ziel der leichten Sprache ist ja auch nicht, dass sie die Normalsprache ersetzt, sondern dass sie spezifischen Bevölkerungsgruppen den Kontakt mit Behörden erleichtert und sie damit mündig macht.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 30.1.2017, 07:20 Uhr